© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Debatte über den Mohammed-Film: Soll man härter gegen Blasphemie vorgehen?
Die Götter steigen aus den Gräbern
Karlheinz Weißmann

Du sollst den Namen des Herren, deines Gottes, nicht mißbrauchen“. Das Gebot aus dem Dekalog ist eindeutig, und die Eindeutigkeit noch verstärkt durch die Strafbewehrung: wer Gott lästert, wird getötet. Nun kannte das Alte Testament die Androhung oder den Vollzug der Hinrichtung in vielen Fällen, aber in kaum einem wirkt die Ahndung auf den heutigen Betrachter so unangemessen wie in diesem. Für ihn gibt es keine Grenze der Meinungsäußerung, jedenfalls nicht im Religiösen. Er darf nicht nur fremde Götter haben oder gar keine, er darf auch bei Karnevalssitzungen ein Kruzifix mit der Aufschrift „Tünnes“ hinstellen oder Plakate mit einer Karikatur zeigen, auf der der himmlische Vater dem sterbenden Sohn qua Sprechblase mitteilt, daß er dessen „Mutter gef…“ habe.

Seit dem Kulturbruch von 1968 ist verboten zu verbieten, und der Durchschnittsbürger hält dafür, daß es bei Blasphemie bestenfalls um Geschmacksfragen geht und beim Paragraphen 166 Strafgesetzbuch um Anachronismen. Wahrheit und Irrtum genießen gleiches Recht, es gibt kein Heiliges mehr im Wortsinn, und selbst ein konservativer Katholik wie Robert Spaemann vertritt die Auffassung, daß die gegenwärtige als eine „pluralistische Situation … nicht ein vorübergehender Zustand“ ist, „auf dessen Änderung man hinwirken könnte“.

Allerdings ist ein geschichtsphilosophischer Rest im Spiel, der uns überzeugen soll, nicht nur am Endpunkt der eigenen Entwicklung angekommen zu sein, sondern auch ein Modell geschaffen zu haben, das der Rest zum eigenen Wohl möglichst zügig übernehmen sollte. Bloß macht der Rest keine Anstalten. Das „Tumultartige“ (Ban Ki-moon) der globalen Situation und vor allem die Eigenheit der religiösen Renaissance im Nahen Osten und überhaupt der islamischen Welt haben jedenfalls mit einem tiefen Mißtrauen gegen die Überlebensfähigkeit des Säkularismus und mit einem ausgeprägten Widerwillen angesichts des weißen Universalismus zu tun.

Trotzdem reagiert Europa wie Nord-amerika mit der Erwartung, daß die „unerzogenen Kinder aus dem 7. Jahrhundert“ (Henryk M. Broder) schon so weit kommen werden wie wir, Geduld vorausgesetzt, und daß es in der „Einen Welt“ nur einer Norm bedarf, wenn auch in aller „Vielfalt“. Tatsächlich erleben wir aber – und die Debatte um den Mohammed-Film erscheint in dem Zusammenhang ziemlich belanglos – eine Infragestellung jeder optimistischen Annahme über den Gang der Dinge, und längst entsteigen die „alten vielen Götter … ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf“ (Max Weber).

Noch schwatzen die Tonangebenden vom Individuum, aber sie denken schon korporativ, kalkulieren mit neuen Geburts- oder Berufsständen, verteilen Privilegien ganz selbstverständlich nach Gruppenzugehörigkeit, behandeln Geschlecht, Rasse, Volk, Religion als objektive Größen und haben sich auch damit abgefunden, daß Recht oder Unrecht einer Auffassung vom Längen- und Breitengrad abhängt. Basis und Überbau klaffen auseinander, aber nur, weil nicht ins allgemeine Bewußtsein dringt, daß die große „Menopause“ (Jean Baudrillard) zu Ende geht, jene Auszeit, in der die Menschen des Wohlstandsgürtels glauben wollten, daß man alle existentiellen Probleme auf Abstand halten und mit einer Mischung aus Konsum und Anarchie durchhalten könne. Der soziale Fortschritt bekommt den coup de grace und an seine Stelle wird etwas Anderes treten. Ob wir wollen oder nicht: Das postliberale Zeitalter nimmt seinen Anfang. Was es bringt, zeichnet sich erst undeutlich ab. Trotzdem sind Entscheidungen nötig.

Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht hier nicht um ein ästhetisches Ungenügen, das die Zensur zurückwünscht, weil das das Leben prickelnder macht, es geht auch nicht um ästhetisches Wohlgefallen an der Glaubensintensität wilder Völkerschaften oder darum, irgendeinem religiösen Mob entgegenzukommen, darum, sich den zukünftigen Herren Eurabias anzudienen, es wieder einmal antiautoritär zu versuchen oder ausgerechnet Fremden etwas zuzubilligen, was man den eigenen Leuten nie zubilligt. Es geht vielmehr darum, sich von den Illusionen frei zu machen, die in den letzten Jahrzehnten etabliert wurden. Das ist um so dringlicher, als niemand behaupten kann, daß jene westliche Zivilisation, deren letzte Zuckungen wir erleben, ohne Tabus und ohne Zensur bestanden hätte. Nur schützten ihre Gesetze und Strafen und Methoden der sozialen Ächtung eben nicht Gott vor Schmähungen, sondern Götzen.

Es muß kein Bürgerkrieg sein, für den wir uns rüsten; aber es wird einen Kulturkampf geben, bei dem nicht in abstraktem Sinn „Gläubige“ gegen „Säkularisten“ oder „der Westen“ gegen „die Fundamentalisten“ stehen, sondern eine konkrete Ordnung gegen andere konkrete Ordnungen, und nur um deren Verteidigung kann es sich handeln. Und wer meint, daß dabei religiöse Aspekte ohne Belang sind oder das Abendland identisch ist mit dem jämmerlichen Rest, der sich heute als Europa präsentiert, der wird vom Ernst dessen, was kommt, unangenehm überrascht sein.

 

Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Gymnasiallehrer, Autor und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Zustand des westlichen Christentums („Die große Erschöpfung“, JF 22/12).

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