© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Herausforderer dringend gesucht
Bundestagswahl: Während sich Peer Steinbrück als SPD-Kandidat in Stellung zu bringen versucht, haben die Grünen die Qual der Wahl
Christian Schreiber

Angela Merkel ist bekannt für eine Politik der ruhigen Hand. Potentielle Konkurrenten läßt sie seit Jahren am ausgestreckten Arm verhungern, Herausforderer aus anderen Parteien prallen an ihr ab. Die Kanzlerin regiert seit dem Jahr 2005, zunächst in einer großen Koalition, seit 2009 mit der FDP. Den Zerfall der FDP hat sie stets mit einer Mischung aus Amüsement und Besorgnis begleitet, ohne dabei den schwächelnden Koalitionspartner auch nur allzu hart anzupacken.

In einem Jahr ist Bundestagswahl und die Kanzlerin hält sich alle Optionen offen. Denn CDU-Strategen haben ausgerechnet, daß eine Fortsetzung des schwarz-gelben Bündnisses gar nicht mehr so ausgeschlossen scheint. Sollte die FDP im Endspurt noch zulegen, im Gegenzug die Piraten knapp an der Fünfprozenthürde scheitern, dann könnten am Ende gar 45 Prozent für einen neuen Regierungsauftrag reichen. Derzeit kommen CDU und FDP auf 43 Prozent. Doch da die FDP erst einmal Landtagswahlen in Niedersachsen und Bayern zu überstehen hat und sich noch nicht schlüssig ist, mit welchem Spitzenkandidaten sie in die Wahl ziehen wird, kann sich Merkel zurücklehnen und beobachten, was die anderen potentiellen Regierungspartner so anstellen.

Denn fest stehen bisher nur zwei Dinge: Die Kanzlerin ist unangefochtene Spitzenkandidatin der Union, und ohne sie wird man keine Regierung bilden können. Um so erstaunlicher, daß einer der potentiellen SPD-Herausforderer in der vergangenen Woche einen Vorstoß wagte: „Peer Steinbrück“, rief der ehemalige Finanzminister während einer Parteiveranstaltung mit schneidender Stimme in das Mikrofon, „wird nie wieder in einem Kabinett von Frau Merkel zu finden sein.“ Und er legte gleich munter nach. „Die einzige Machtoption, die Frau Merkel hat, sind wir. Darauf aber darf sich die SPD nicht einlassen. Wir wollen, daß diese Regierung ganz abgelöst wird – und nicht nur halb. Diese Regierung wird es einem Jahr nicht mehr geben.“

Mit diesem fulminanten Auftritt hat sich Steinbrück im Kampf um die Kanzlerkandidatur der SPD zurückgemeldet. Passend zu dieser Inszenierung kamen jetzt zwei Biographien heraus, die ihn als pragmatischen Staatsmann darstellen sollten. Noch vor Wochen galt Steinbrück als Außenseiter im Kampf gegen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Zwar werden die „Stones“ beide eher dem rechten Parteiflügel zugerechnet, doch gilt der ehemalige Außenminister als beliebter in der Partei. Steinbrück dagegen wurde stets eine Nähe zu Märkten und Banken nachgesagt.

Seine Biographen wollen nun belegen, daß sich der ehemalige Finanzminister auf einigen Gebieten linken Positionen angenähert habe. Und mit seiner Ankündigung, nicht mehr in einem Kabinett Merkel „dienen“ zu wollen, könnte er einen strategischen Vorteil erlangt haben. Bislang galt der Fraktionsvorsitzende als Favorit bei der Kandidatenkür. Doch Steinmeier war als Außenminister ein Teil des Systems Merkel, hat eng und gut mit der Kanzlerin zusammengearbeitet. Seine Kandidatur könnte als Zeichen gewertet werden, die SPD habe sich mit der Rolle des Juniorpartners in einer großen Koalition bereits abgefunden. Zwar machte der Fraktionschef ein Jahr vor der Bundestagswahl auch klar: „Wir spielen auf Sieg, nicht auf Platz.“ Und: Man wolle nicht als Juniorpartner in einer großen Koalition landen – Rot-Grün sei das Ziel.

Ein Dementi, erneut an Merkels Kabinettstisch zu sitzen, steht noch aus. So könnte am Ende Steinbrück der Herausforderer werden, weil die Genossen in ihm eher den Kämpfer sehen. Es bleibt die Hoffnung, die SPD könne so weit aufholen, daß die CDU Merkel nach der Wahl fallenlassen müßte. Eine große Koalition ohne Merkel hat Steinbrück nämlich nicht ausgeschlossen. Parteichef Sigmar Gabriel scheint dagegen jetzt schon aus dem Rennen. Bei einer Direktwahl würden ihn nur 16 Prozent wählen, aus seinem Umfeld sickert durch, daß er sich keine blutige Nase holen möchte.

Spannend wird es dagegen bei den Grünen. 15 Kandidaten bewerben sich in einer Ur-Wahl um die beiden Spitzenplätze, von denen mindestens einer mit einer Frau besetzt sein muß. Dabei treten mit Renate Künast, Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt gerade mal drei Frauen aus dem Berliner Establishment gegen zwölf Männer an. Eine Vorhersage, wer am Ende vorne liegt, ist schwierig.

Favorit für den zweiten Platz ist eigentlich der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin – allerdings muß er nun mit elf anderen meist recht unbekannten männlichen Bewerbern konkurrieren – was wertvolle Stimmen kosten könnte. Haben nämlich am Ende zwei Frauen mehr Stimmen als Trittin, werden diese beiden auch die Spitzenkandidatinnen. Und Trittin, dem ein gutes Verhältnis zur Kanzlerin nachgesagt wird, wäre plötzlich draußen. Merkel wird all dies herzlich wenig stören. Sie wartet in Ruhe ab. Auf die Frage nach ihrem Lieblings-Koalitionspartner sagte sie neulich: „In einer Demokratie müssen grundsätzlich alle demokratischen Parteien miteinander koalieren können.“ Sie hat gut reden, denn ohne sie wird es vermutlich auch nächsten Herbst nicht gehen.

Foto: SPD-Granden Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel (v.L.n.i.): „Wir sind Merkels einzige Machtoption“

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