© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Warten auf die Staatskrise
NSU-Morde: Sicherheitsbehörden suchen nach einem möglichen weiteren V-Mann
Marcus Schmidt

Schnell machte das Wort von einer Staatskrise die Runde. Als in der vergangenen Woche bekannt wurde, daß Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) prüfen läßt, ob ein Beschuldigter aus dem Kreis der Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) V-Mann gewesen sein könnte, schien die nicht abreißen wollende Serie von Pannen und Skandalen bei der Aufklärung der zehn Morde des NSU eine neue Stufe erreicht zu haben.

Sollte tatsächlich der mutmaßlich wichtigste Unterstützer der Terrorzelle zumindest zeitweise im Dienst des Verfassungsschutzes gestanden haben? Denn der Spiegel hatte unter Verweis auf „Sicherheitskreise“ als möglichen V-Mann schnell den Namen von Ralf Wohlleben genannt, neben Beate Zschäpe der einzige Verdächtige im Zusammenhang mit der dem NSU zugeschriebenen Mordserie, der sich noch in Haft befindet. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 37 Jahre alten früheren NPD-Funktionär Beihilfe zum mehrfachen Mord vor. So soll Wohlleben an der Beschaffung der Pistole vom Typ Ceska 83 beteiligt gewesen sein, mit der ein Großteil der Morde der Zwickauer Terrorzelle verübt wurde.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte ein Bundesanwalt, der früher im Bundes-innenministerium tätig war. Dort war er auch für das 2003 gescheiterte NPD-Verbotsverfahren zuständig. Jetzt hat sich der Bundesanwalt daran erinnert, damals den Namen eines der Verdächtigen – mutmaßlich Wohlleben – auf einer Liste mit V-Leuten gelesen zu haben.

Dem Vernehmen nach ist die Suche in den Akten des Ministeriums bislang erfolglos geblieben. Doch Friedrich läßt nicht nur im eigenen Haus suchen, sondern hat alle Sicherheitsbehörden zu einer Stellungnahme aufgefordert. Daß es sich bei dem möglichen V-Mann tatsächlich um Wohlleben handeln könnte, wurde bislang nicht bestätigt.

Die ganze Aufregung zeigt, wie nervös alle an der Aufklärung der NSU-Morde Beteiligten mittlerweile sind. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), und die Obleute der Bundestagsfraktionen, die von Friedrich umgehend über den Verdacht informiert worden waren, behielten die brisanten Informationen für sich und unterrichteten weder ihre Mitarbeiter noch die Fraktionsspitzen.

Um so überraschter waren die Mitglieder des Untersuchungsausschusses dann, als Friedrich am Dienstagabend vergangener Woche mit einer knappen Pressemitteilung die Suche nach dem weiteren möglichen V-Mann plötzlich öffentlich machte. Aus dem Kreis der Obleute hieß es, ursprünglich sei vereinbart worden, eine für den nächsten Tag vereinbarte Unterrichtung durch Friedrich abzuwarten. Der überhastete Schritt Friedrichs zeigt, wie angespannt mittlerweile auch die Nerven des Bundesinnen-ministers sind. Ein schwerwiegender Ermittlungsfehler oder eine verschleppte Aufklärung in seiner Behörde, das weiß Friedrich, könnte ihm den Kopf kosten.

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