© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Vizekanzlerkandidat
SPD: Die Entscheidung für Peer Steinbrück ist ein Signal für eine große Koalition
Paul Rosen

Inszenierung beherrscht die SPD-Führung wie ein Theaterregisseur. Die Ausrufung des früheren Finanzministers Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl in der vergangenen Woche verlief wie nach Drehbuch. Die Medien überschlugen sich mit gefälligen Überschriften: „Es kann nur einen geben“, titelte Cicero am vergangenen Donnerstag bereits einen Tag vor der offiziellen Vorstellung über den Kandidaten Steinbrück, der am 1. Oktober schließlich von den Gremien nominiert wurde. Der öffentliche Sturm, den die Medienarbeiter der SPD herbeizauberten, steht in krassem Gegensatz zu den Chancen (und auch den internen Erwartungen) in Sachen Steinbrück: Er ist bestenfalls Vizekanzlerkandidat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derzeit schwer zu schlagen. Deutschland ist bisher gut durch die Krise gekommen. Von den möglichen Folgen der Milliardengarantien ist noch nichts zu spüren, Inflationsgefahren werden erfolgreich kleingeredet. Nach der ersten großen Koalition 2005 und dem schwarz-gelben Bündnis ab 2009 wäre Steinbrück der Idealpartner für die im Zenit ihrer Macht stehende Kanzlerin.

Die Lage in der SPD klärte sich zum Herbstbeginn sehr schnell. Parteichef Sigmar Gabriel hatte mit seinem Rentenkonzept und einigen guten öffentlichen Auftritten zwar seinen Machtanspruch untermauert. Aber er hatte zugleich nichts gegen sich verdichtende Gerüchte getan, er würde – wenn überhaupt – lieber erst bei der Wahl 2017 antreten, wenn Merkels Autorität bröckelt und er zusammen mit den Grünen dann das Kanzleramt übernehmen kann – so wie Gerhard Schröder 1998 von Helmut Kohl. Schließlich hat Gabriel bei Schröder gelernt und weiß, daß es nicht auf gute Politik, sondern darauf ankommt, im richtigen Moment am richtigen Platz zu sein. Und den richtigen Moment sieht er angesichts des Hochs der Kanzlerin und bei Umfragewerten von knapp 40 Prozent für die Union jetzt nicht. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier war auch kein echter Konkurrent mehr. Korrespondenten hatten den Eindruck von einem Hintergrundgespräch Mitte der vergangenen Woche, daß Steinmeier aus familiären Gründen die Belastung einer Kanzlerkandidatur vermeiden will.

Es blieb damit nur Steinbrück, der seinen Aufmarsch bereits am Montag mit einem langen Spiegel-Interview begonnen hatte, in dem er sich quasi als Kanzlerkandidat vorstellte. Am Mittwoch stellte er sein Banken- und Finanzkonzept vor, mit dem er sich nichts anderes als die Zerschlagung der Deutschen Bank vorgenommen hat, was auf das Volk so wirken soll wie die Ankündigung eines mittelalterlichen Ritters, er werde jetzt ausziehen, um den Drachen zu erledigen. Daß der Ritter von früheren Streifzügen bereits die Pest (in diesem Fall die Deregulierung der Finanzmärkte) eingeschleppt hat und damit für die Krise verantwortlich ist, merkt das Volk natürlich nicht.

Am Freitag schließlich gab Gabriel offiziell bekannt, daß Steinbrück die Kandidatur übernehmen werde, und am Samstag folgte, welch Zufall, ein großer Auftritt auf dem SPD-Landesparteitag in Münster in Nordrhein-Westfalen – in dem Land, wo er Ministerpräsident war, bis die Wähler von Steinbrück 2005 die Nase voll hatten und ihn abwählten. Die Veranstaltung hatte bereits den Charakter einer Krönungsmesse, auf der ein wie immer spottender Steinbrück um „mehr Beinfreiheit“ für sich warb. Selbstunterschätzung ist jedenfalls nicht sein Problem: „Manchmal würde ich mich gerne selbst für systemrelevant halten“, ließ der Schnellsprecher mit norddeutschen Wurzeln die Delegierten wissen.

Damit sind seine Probleme skizziert: „Steinbrücks Stärke ist auch gleichzeitig seine Schwäche, er liebt die Selbstinszenierung und die Übertreibung. Was Steinbrück fehlt, ist eine Rhetorik, die Maß und Mitte achtet“, sorgte sich das Handelsblatt. In der Tat ließ Steinbrück jegliches diplomatische Gespür vermissen, als er der Schweiz im Zusammenhang mit einer Schwarzgelder-Debatte mit der Kavallerie drohte.

Auch in der eigenen Partei verhielt er sich nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“. So kritisierte er die beliebten Programmdebatten und meinte, außerhalb der SPD hätten sie den „Aufmerksamkeitswert von auslaufendem Badewasser“. Ihn nervende Genossen (das ist die große Mehrheit) bekamen das Prädikat „Heulsusen“. Sein Verhalten erinnert an Helmut Schmidt, der auch meistens quer zu seiner Partei stand, während ihm in der Öffentlichkeit große Sympathien zuteil wurden. Von „Peer Schmidt“ schrieb folgerichtig die Süddeutsche Zeitung, sorgte sich aber zugleich, daß die SPD nicht einmal so viel Wahlkampfinitiative zeigen könnte wie die CDU 2002 für den Bayern Edmund Stoiber.

Die politische Bilanz des 65jährigen steht im Gegensatz zu seinen flotten Sprüchen. Nach der Abwahl in Nord-rhein-Westfalen wurde das von Steinbrück hinterlassene Schuldendesaster offenkundig. Gerade in Düsseldorf abgewählt und in Berlin Finanzminister geworden, bekämpfte Steinbrück die Finanzkrise vor allem mit noch mehr Schulden. Den Banken, denen er gerne droht, warf er Milliardensummen hinterher. Ob Hypo Real Estate oder IKB – alle wurden von Steinbrück schnell gerettet. Er redet aber ganz anders: „Wenn eine Bank vor der Pleite steht, sollte nicht gleich mit Staatsknete geholfen werden.“

Auf dem SPD-Parteitag in Münster erhielt Steinbrück den längsten Applaus für sein Versprechen, er sei nicht abermals für ein Kabinett Merkel zu gewinnen. Doch genau dort wird der Vizekanzlerkandidat, dessen Bundestagsfraktion bereits heute die beste Stütze der Kanzlerin ist, nach der nächsten Bundestagswahl sitzen.

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