© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Blau-gelbes Zittern
Bundestagswahl: Angesichts anhaltend schlechter Umfrageergebnisse wächst bei den Liberalen die Angst vor dem Absturz
Christian Schreiber

Was machst du nächstes Jahr um die Zeit beruflich“, raunen sich vor allem die Hinterbänkler immer öfter zu. Zwölf Monate vor der Bundestagswahl macht sich in der FDP-Bundestagfraktion Galgenhumor breit und beginnt für viele Parlamentarier die Zukunftsplanung.

Auf stolze 14,6 Prozent kamen die Liberalen im Herbst 2009, und es regnete Brei. 93 Abgeordnete zogen in den Reichstag ein, sie brachten Mitarbeiter und Referenten mit. Gleichzeitig zogen die Blau-Gelben in fünf Ministerien ein. Insider sprechen von einer Versorgungs-orgie, doch nach einem Gelage kommt leider allzu häufig der Kater. Nur noch Optimisten glauben daran, daß die Partei um den glücklosen Vorsitzenden Philipp Rösler im kommenden Jahr ein weiteres Mandat zum Regieren erhält. Derzeit liegt die FDP in allen relevanten Meinungsumfragen unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Selbst wenn es doch noch reicht – die Fraktion wird auf jeden Fall dramatisch schrumpfen.

Die aufkommende Euphorie nach den Wahlerfolgen vom Frühjahr in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist längst verflogen, in der Partei Ernüchterung eingekehrt. Es fehlt ein Frontmann, der die Liberalen in den Wahlkampf führt, und es fehlt ein Thema. Es gibt Leute in der Partei, die sagen, daß der FDP ein strikter Anti-ESM-Kurs gutgetan hätte. Doch aus Angst vor Bundeslanzlerin Angela Merkel und einem möglichen Koalitionsbruch habe die Führung gekniffen. Und es mehren sich Befürchtungen, das bittere Ende könnte der Partei noch bevorstehen.

Der Parteivorsitzende Rösler gibt sich kämpferisch. Er will als Spitzenkandidat antreten und sich als amtierender Wirtschaftsminister in den Wahlkampf seiner Heimat Niedersachen werfen, wo Ende Januar gewählt wird. Doch dort liegt seine Partei bei drei Prozent. Euro-Rebell Frank Schäffler hält es daher für offen, ob der Parteichef die Liberalen in die Bundestagswahl führen wird. „Das ist noch nicht ausgemacht. Das hängt von der Entwicklung in den nächsten Monaten ab“, sagte der Bundestagsabgeordnete der Nachrichtenagentur dpa. Bei einer Niederlage in Hannover, so heißt es in der Partei, sei Rösler nicht mehr zu halten. Zu potentiellen Alternativen wollte sich Schäffler nicht äußern. „Wir haben viele gute Talente.“ Ex-Generalsekretär Christian Lindner gilt als möglicher Nachfolger. Er hat in Nordrhein-Westfalen gegen den Bundestrend 8,6 Prozent geholt. Ein solches Ergebnis werden die Liberalen an Rhein und Ruhr wieder brauchen, um deutschlandweit über die Sperrklausel zu kommen. Zu brach liegt die Organisationsstruktur mittlerweile in vielen anderen Bundesländern. Doch Lindner hat unlängst in einem Gespräch mit der Zeit eine Kandidatur für den Bundestag definitiv ausgeschlossen. „Das strebe ich nicht an.“ Auf die Frage, ob er im Falle eines Rücktritts von Parteichef Rösler nach einer Niederlage bei der Niedersachsenwahl im Januar für den Parteivorsitz kandidieren werde, sagte der 33jährige: „Dafür bin ich zu jung. Ich kann nicht alles machen.“

Fraktionschef Rainer Brüderle ist einer der wenigen prominenten Liberalen, die in der Bevölkerung vertretbare Sympathiewerte genießen. Doch der hemdsärmelige Pfälzer hat als Landeschef die Niederlage seiner Partei in der Heimat zu verantworten gehabt, gilt vielen in der FDP nicht unbedingt als die Optimallösung. Alt-Liberale wie der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum machen sich Sorgen: „Ich will jetzt keine Rösler-Debatte eröffnen. Dafür ist jetzt nicht der Zeitpunkt. Die Partei muß Anfang nächsten Jahres entscheiden, mit welcher Mannschaft und welchen Themen sie in den Bundestagswahlkampf geht“, sagte er der Zeit und fügte fast resigniert hinzu: „Die Partei ist derzeit offenbar nicht bereit, eine Entscheidung über die Führung herbeizuführen. Wenn diejenigen, die heute und künftig in der FDP Verantwortung tragen, das jetzt nicht wollen, sondern erst im kommenden Jahr, dann muß man das respektieren.

Dagegen ist Wolfgang Kubicki, im Frühjahr umjubelter Wahlsieger in Schleswig-Holstein, längst zum Angriff übergegangen. Er macht aus seiner Abneigung gegen Rösler keinen Hehl mehr und will seine Partei fit für eine Koalition mit SPD und Grünen machen. Er selbst hatte bereits Anfang August für eine Ampelkoalition geworben – unter einem Kanzler Peer Steinbrück. Damals war er von Parteifreunden gerügt worden. Jetzt sagt Kubicki zwar, er würde „nicht mit jedem Sozi regieren“, fügt aber gleichzeitig hinzu: „Wer uns zu unserer Mehrheit verhilft, ist doch letztlich egal.“

Kubicki glaubt, daß die FDP ihre Anhänger nur mobilisieren kann, wenn sie eine Regierungsoption habe. Aufmerksam wird nicht nur Kubicki registriert haben, daß in Berlin zu hören ist, innerhalb der SPD-Führung mehrten sich die Stimmen, die raten, auf die FDP zuzugehen, um sich möglichst viele Optionen offenzuhalten.

Selbst bei einem Ergebnis von knapp über fünf Prozent für die FDP würde die Fraktion fast zwei Drittel ihrer Abgeordneten verlieren, in der Partei geht die Angst um, daß sich die Motivation der Wahlkämpfer in Grenzen halten könnte. So wird plötzlich wieder jemand als Spitzenkandidat gehandelt, der vor zwei Jahren als die personifizierte Partei-Krise galt: Ex-Chef und Außenminister Guido Westerwelle. Die Spitzenkandidatur in Nordrhein-Westfalen ist ihm bereits sicher. „Er ist der beste Wahlkämpfer, den die FDP je hatte“, sagt sein Nachfolger Rösler. Es klingt wie ein Empfehlungsschreiben für die Rolle als Spitzenkandidat auch auf Bundesebene.

Foto: Guido Westerwelle mit Philipp Rösler und Rainer Brüderle (v.l.n.r.): Blick nach Niedersachsen

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