© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Pragmatiker ohne Hausmacht
USA: Noch ist der Ausgang der Präsidentschaftswahl offen, doch konservative Kritiker fordern Herausforderer Romney auf, Farbe zu bekennen
Elliot Neaman

Zu behaupten, daß sich unter konservativen Amerikanern Nervosität breitmacht, ist untertrieben. In einer Kolumne, die am 24. September im Weekly Standard erschien, flehte William Kristol den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney an, er möge doch endlich aufhören, über Barack Obamas Amtsführung zu jammern, und statt dessen lieber erklären, was er selber besser machen würde. Peggy Noonan wurde in ihrem Wall Street Journal-Blog noch deutlicher und empfahl dem Möchtegern-Nachfolger ihres ehemaligen Chefs Ronald Reagan: „Er sollte tief in den Abgrund schauen. Er sollte geradewegs ins Herz der Dunkelheit blicken, wo eine republikanische Niederlage bei einer Wahl lauert, die der republikanische Kandidat praktisch nicht verlieren konnte.“

Anders als Reagan 1980 kann der diesjährige Kandidat sich nicht auf eine über zwanzig Jahre in der politischen Wildnis kultivierte Unterstützung der Parteibasis verlassen. Zudem ist Romney im Grunde seines Herzens kein bekennender Konservativer, sondern ein Pragmatiker, der aus wahlkampftaktischen Gründen so tun muß, als teile er die Positionen des rechten Flügels seiner Partei.

Die Beunruhigung der konservativen Führungseliten rührt daher, daß ihre Beziehung zu diesem Kandidaten eine reine Vernunftehe ist. Auf landesweiter Ebene liegen Romney und Obama derzeit statistisch gesehen gleichauf – in jenen Bundesstaaten aber, in denen sich die Wahl letztlich entscheiden wird, fällt der Herausforderer zurück. Noch ist der Wahlausgang offen, und Romney bleibt – nicht zuletzt bei den vier Fernsehdebatten im Oktober – genügend Zeit, sich wieder nach vorne zu kämpfen. Aber er muß jetzt handeln, zumal in vielen Bundesstaaten eine Briefwahl schon ab Anfang Oktober möglich ist.

Weitere Fehltritte sollte er dabei nach Möglichkeit vermeiden. Bei der ersten Auslandsreise seines Wahlkampfes erlaubte er sich einen Riesenpatzer und kritisierte die Veranstalter der Olympischen Spiele in London, woraufhin die führende britische Boulevardzeitung The Sun ihn in einer Schlagzeile als „Mitt the Twit“ zum „Deppen“ titulierte. Romney reiste weiter nach Jerusalem, wo er den arabischen Staaten praktisch die Alleinschuld am Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zuschob und Israels „Unternehmergeist“ pries – das war wohl als Kompliment gemeint, bediente aber traditionelle Vorurteile über die vermeintliche Geschäftstüchtigkeit des jüdischen Volkes.

Angesichts der drohenden Niederlage im November sind bereits Sollbruchstellen zwischen verschiedenen konservativen Lagern auszumachen, und auch die gegenseitigen Anschuldigungen ließen nicht lange auf sich warten. Der konservative Kolumnist George F. Will legte sich in einer Talkshow mit Romneys Beraterin Liz Cheney an. Will, der sich zu den außenpolitischen Realpolitikern zählt, warf Cheney vor, sie rühre die Werbetrommel für jene „nation building“-Phantasien, die ihren Vater Dick Cheney und dessen Chef, George W. Bush, auf die Abwege teurer Kriege in entfernten Weltgegenden verleitet hätten. Zwar scheint es eher unwahrscheinlich, daß außenpolitische Erwägungen in diesem Wahlkampf eine Rolle spielen werden. Eine weitere Krise im Nahen Osten könnte die Aufmerksamkeit der Wähler jedoch kurzfristig von der nach wie vor maroden Wirtschaftslage im eigenen Land ablenken.

Mit dem Video, das die linksgerichtete Zeitschrift Mother Jones jüngst von einer privaten Veranstaltung zur Beschaffung von Wahlkampfspenden veröffentlichte, machte Romney dem Amtsinhaber ein weiteres Geschenk. 47 Prozent der Amerikaner lebten von „Almosen“ der Regierung, verlautbarte der republikanische Kandidat dort. Hätte er das weniger ungeschickt formuliert, so hätte er eine durchaus vertretbare Kritik an der Abhängigkeit allzu vieler Amerikaner von staatlichen Beihilfen äußern und ausführen können, wie schwierig es ist, Wähler zu gewinnen, die ein persönliches Interesse daran haben, daß ihnen ein möglichst hoher Anteil an Steuergeldern zufließt. Statt dessen klangen seine Äußerungen kalt und zynisch aus dem Mund eines Mannes, dem viele Wähler sowieso schon wegen seines privilegierten gesellschaftlichen Hintergrunds mißtrauen.

Obama ist nach wie vor bei vielen unentschiedenen Wählern unbeliebt genug, daß Romney sich Hoffnungen auf einen knappen Sieg machen kann, sofern er diesen Wählern einen Grund gibt, ihr Kreuz bei seinem Namen zu machen. Viele Konservative haben diese Hoffnung jedoch bereits aufgegeben und sich damit abgefunden, sich weitere vier Jahre lang gedulden zu müssen.

Foto: Obama-Herausforderer nimmt in Toledo (Ohio) ein Bad in der Menge: Trotz zahlreicher Fehltritte zeigt sich Mitt Romney siegessicher

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