© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

CD: O. Messiaen
Feenhafte Pracht
Sebastian Hennig

Wie ein Manifest des jungen Stefan George liest sich die Umschreibung, die Olivier Messiaen (1908–1992) von seiner Tonsprache gibt: „Mein heimliches Verlangen nach feenhafter Pracht in der Harmonie hat mich zu diesen Feuerschwertern gedrängt, diesen jähen Sternen, diesen blau-orangenen Lavaströmen, diesen Planeten von Türkis, diesen Violettönen, diesem Granatrot wuchernder Verzweigungen, dieser Wirbel von Tönen und Farben in einem Wirrwarr von Regenbögen.“

1964 bestellt der französische Kulturminister André Malraux Messiaen ein Requiem für die Toten des Weltkriegs. Dieser Auftrag festigte die Position des Komponisten innerhalb des französischen Kulturbetriebs. Einer der ersten Aufführungen von „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ in der Kathedrale von Chartres wohnte Präsident de Gaulle persönlich bei.

Stumpf und tonlos angeschlagene Kuhglocken treffen zu den schweren Schritten des ersten Satzes, dessen düstere Klänge die Anrufung ihres Schöpfers durch die Seelen im Fegefeuer nahebringt. Der zweite Teil ist ökumenisch im allerweitesten Sinn. Der indische Rhythmus des „Shimhavikrama“ bedeutet „Macht des Löwen“. Er wird hier zu dem Löwen aus dem Stamme Juda ins Verhältnis gesetzt, der den Tod überwindet. Die 15 Matras des Themas sind zudem zu verstehen als das Produkt aus den fünf Seinsformen des Gottes Shiva mit der christlichen Dreifaltigkeit.

Der dritte Satz wendet sich zum Amazonas, wo der Vogel Uirapuru sich lediglich unmittelbar vor dem Tode seines Zuhörers vernehmen läßt. Nur die alte griechische und indische Musik und die Gregorianik gaben vergleichbare Trostgründe für das Ohr. In den vierten Teil übernimmt Messiaen Gesänge der Ostermesse: Das Introit wird begleitet von Kuhglocken, Trompeten singen Alleluia. Der Schluß führt den Rhythmus der Schritte und Schreie des Anfangs zu einer triumphalen Figur von Auferstehung und Todesüberwindung.

Olivier Messiaen, der sechs Jahrzehnte als Organist an der Kirche La Trinité wirkte, meint: „Es ist unbestreitbar, daß ich in den Wahrheiten des katholischen Glaubens diese Verführung durch das Wunderbare hundertfach, tausendfach multipliziert wiedergefunden habe, und es handelte sich nicht mehr um eine theatralische Fiktion, sondern um etwas Wahres.“

Zwei Orchesterstücke aus den ersten Jahren seiner Organistentätigkeit ergänzen die Platte. In „Le tobeau resplendissant“ (1931) wechseln je zwei schnelle Sätze mit langsamen Partien. Dieses Werk des 23jährigen wurde nach der Uraufführung kaum mehr gespielt, und eine Plattenaufnahme erfolgte erst nach seinem Tod. „Hymne“ (1932) trug erst den vollständigen Titel „Hymne au Saint-Sacrement“. Die Partitur ging zehn Jahre später auf dem Postwege verloren. Kurz nach Kriegsende, als der Komponist das Werk aus dem Gedächtnis rekonstruierte, wurde er wegen der theologischen Programme seiner Musik in der Presse angegriffen. Da er keine Neigung verspürte, darauf einzugehen, tilgte er Heiliges und Opfer aus der Titelzeile, ohne der Musik diesen Charakter zu nehmen. Jun Märkl und das Orchestre National de Lyon knüpfen einen bestürzend schönen Musikteppich, in dem die Lebensglut in „Granatrot, wuchernden Verzweigungen“ sich von einem dunklen Todesgrund abhebt.

Olivier Messiaen, Et exspecto resurrectionem mortuorum Naxos 2012 www.naxos.com

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