© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Verlockungen von vorgestern
Literaturverfilmung: „On the Road – Unterwegs“ nach Jack Kerouac trifft heute nicht mehr den Nerv
Claus-M. Wolfschlag

Es war das Manifest der Beat-Generation, eine Dekade vor den Hippies, und noch bis in die siebziger Jahre hinein blieb Jack Kerouacs „On the Road“ ein Kultbuch für aufbegehrende, rebellierende Jugendliche. Bei heutiger Erst- oder Wiederlektüre diese Wirkung nachzuempfinden, fällt indes nicht leicht. Was einst fasziniert und womöglich teils Berechtigung gehabt haben mag, wirkt heute schal und aufgesetzt.

Seltsam unberührt hinterläßt auch Walter Salles’ Verfilmung von „On the Road“ den Zuschauer. Das mag daran liegen, daß das Gezeigte heutzutage seine Fremdheit verloren hat. Insofern ist „On the Road“ Authentizität nicht abzusprechen, und Salles’ Verfilmung, die sich eng an die Literaturvorlage hält, keine postume Verfälschung vorzuwerfen.

Die Geschichte ist rasch erzählt: Der junge amerikanische Schriftsteller Sal Paradise (Sam Riley) scheint Ende der 1940er Jahre nach dem Tod seines Vaters in lethargischer Trauer zu versinken. Doch dann begegnet er dem charismatischen Dean Moriarty (Garret Hedlund), der ihm das wahre Leben zeigt. Moriarty ist ein extravertiertes Alphatier, sexuell beliebt und äußerst freizügig, ruhelos, innerlich brennend, aber auch langsam ausglühend.

Man trampt mal in diese Stadt, fährt in die nächste, schlägt sich hier mit einem Job durch, läßt dort ein Mädchen sitzen. Dazwischen werden Zigaretten geraucht, wird getrunken, Jazz gehört, getanzt, es gibt viel Sex und einige Diskussion zu Kunst und Literatur. Ein richtiger Plot existiert gar nicht. Die gelebte Unmoral profitiert parasitär von der noch intakten Moral der Mehrheitsgesellschaft. Rücksichtslos werden arglose Kleinhändler und Tankwarte bestohlen, und dies als abenteuerlicher Lebensstil verkauft. Heutiges Mißtrauen samt Komplett-Video-Überwachung dürfte auch der Explosion solchen Verhaltens geschuldet zu sein. Der Film plätschert also vor sich hin, und wäre wohl ohne die hübsche Kristen Stewart in der Rolle der Marylou ohne jede Würze.

Irgendwann findet dann Paradise den Absprung, und Moriarty landet ausgebrannt auf der Straße. Das Fehlen eines echten Handlungsstranges und das sich im Ortswechselspiel erschöpfende Wollen des Helden erschwert es, tieferen Zugang zu diesem Stoff zu finden. Doch wäre dort überhaupt Tiefe zu finden? Heute hat der Roman zudem mit unerwartet neuen Problemen zu kämpfen: „Frauenfeindlichkeit“ wird dem machistischen Roadtrip vorgeworfen.

Was Salles zeigt, hat längst seine besten Jahre hinter sich und ist im Mainstream versandet. Kein Stadt- oder Boulevardmagazin, das nicht die Verlockung von Musik, Party, Alkohol und schnellem Sex zum Verkaufsmodell erhoben hat. Daß davon meist mehr Inszenierung als Realität ist, mag den Kreis zu Kerouac schließen, auch wenn heute nur noch eine Minderheit die Beigabe des Künstlertums zur Selbstdarstellung benötigt.

Regisseur Walter Salles ist sich der Vervielfältigung der gezeigten Lebensmodelle durchaus bewußt. So äußerte er: „Sie haben die Kultur von innen heraus revolutioniert. Michael McClure, der der Beat-Bewegung angehörte, hat es so auf den Punkt gebracht: ‘Neulich fragte mich ein junger Mann um die 21, was eigentlich aus der Beat-Generation geworden ist. Er kleidete sich, wie es ihm gefiel, trug die Haare so, wie er wollte, war gegen den Irak-Krieg und interessierte sich für Ökologie und Buddhismus. Also fragte ich zurück: ‘Genau, wo ist sie dann hin, die Beat- Generation?’“

So kommt Kerouac und dem von ihm beschriebenen jugendlichen Drang nach Freiheit und Sinnlichkeit sicherlich eine wichtige historische Funktion zu. Doch für einen tragenden Stoff und wirklich guten Film reicht allein das in heutiger Zeit einfach nicht mehr.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen