© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Der Flaneur
Der Verdacht
Cassian Heidt

Auf der Halbinsel Crozon nimmt die Landschaft des Département Finistère fast schon mediterrane Züge an. Die nebelverhangenen Eichenwälder weichen lichten Pinien und an den Steilküsten blüht das Heidekraut noch in einem intensiveren Rot. Der kurze, aber starke Sommer hat fast alles Leben aus den Weiden gebrannt und drängt die schwarz-weiß gefleckten Rinder eng um die letzten Flächen Grün.

Das Meer donnert unerbittlich an die schwarzbraunen Klippen und gräbt mit der Ruhe der Zeit gewaltige Torbögen in das mürbe gewordene Gestein. Eine Schar kleinerer Felsen streckt noch mit der Verzweiflung Ertrinkender ihre Häupter aus den Wellen. Ein paar tausend Jahre mögen sie das noch durchhalten.

Als der Küstenweg einen Parkplatz kreuzt, passiere ich eine Gruppe rüstiger Rentner. Schon bei dem ersten Blick auf ihre zusammengewürfelte und in grellen Farben schillernde Funktionskleidung beschleicht mich ein Verdacht. Mit ihren großen Ski-Wanderstöcken, den Sportsonnenbrillen und Sommermützen mit integriertem Nackenschutz vollführen sie in ihrer Wandervorbereitung einen merkwürdigen Tanz. Die Rucksäcke werden noch mal kontrolliert und festgezogen, die grauen Wollsocken werden auf die richtige Höhe gerückt.

Ihre abgehackten Bewegungen erinnern an einen Marsch der Fremdenlegion am Nationalfeiertag. So treten sie vor ihrem Feldwebel an, der allerdings auch ein pensionierter Oberstudienrat sein könnte. Durch ihre Gestik erkenne ich aus der Distanz, daß sie genau und gründlichst in die Tücken der rutschigen Klippen eingewiesen werden. Während ich eine Stunde später auf dem äußersten Felsvorsprung die wogende See betrachte, rückt die Wanderkompanie langsam und unaufhaltsam an. Als der Wind zusammen mit der kalten Gischt auch einige Wortfetzen zu mir trägt, weiß ich, daß mein Verdacht richtig war. Man spricht deutsch.

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