© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Unzufriedenheit mit Moskau
Königsberg: Bürgermeisterwahl im Schatten von Aufbruch und geopolitischen Scharmützeln
Thomas Fasbender

Königsberg atmet auf. Allem Anschein nach gehört die Stadt, die nach 1945 von der UdSSR annektiert wurde und heute mit dem nördlichen Ostpreußen ein Teil Rußlands ist, nun doch zu den Ausrichtern der Fußball-WM 2018. Nicht zu Unrecht, denn nach dem Siechtum der neunziger Jahre erlebt das Gebiet nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung. Moskauer Geld fließt in die Enklave, reiche Hauptstädter haben die Villen in den Ostseebädern Cranz und Rauschen renoviert, und eine Sonderwirtschaftszone macht das Gebiet für Investoren attraktiv. Man besinnt sich der Standortvorteile. Ein moderner Getreidehafen ist im Bau, und der Militärhafen in Pillau, dem heutigen Baltijsk, soll für den zivilen Schiffsverkehr geöffnet werden.

Auch architektonisch putzt die preußisch-russische Stadt sich heraus. Das nie vollendete Haus der Räte, jahrzehntelang eine häßliche Bauruine am Ostrand des 1968 gesprengten Schlosses, erhielt vor einigen Jahren Fenster und einen Anstrich. Der Gouverneur hat sogar den Wiederaufbau des Schlosses ins Spiel gebracht. Die neuen Königsberger, die sich sieben Jahrzehnte nach dem Krieg daran gewöhnen, daß ihre Stadt wohl auf Dauer ein Teil Rußlands bleiben wird, wenden sich der preußischen Geschichte zu. Entsprechend wurde vergangene Woche vor dem Dom eine Bronzeplastik des alten Königsberg mitsamt dem Schloß eingeweiht.

Noch aber plagen vielfältige soziale Sorgen, die auch den Wahlkampf vor den Bürgermeisterwahlen am 14. Oktober bestimmen. Nach dem schwachen Abschneiden der Regierungspartei Einiges Rußland bei den Parlamentswahlen Ende 2011 sah es eine Zeit so aus, als könnte am 14. Oktober der Opposition ein Durchbruch gelingen. Hatte diese nach den Präsidentschaftswahlen im März doch angekündigt, die Wählerlandschaft künftig von den Regionen her aufzurollen – und das in der Stadt Jaroslawl im April erfolgreich unter Beweis gestellt.

In Königsberg, das von vielen Russen Kenigsberg oder auch Kenig genannt wird, war es bis in den Sommer hinein unklar, wen Einiges Rußland überhaupt ins Rennen schickt. Amtsinhaber Alexander Jaroschuk war in den Augen des Kreml durch die Pleite bei den Dumawahlen diskreditiert. Schließlich wurde Jaroschuk aber doch nominiert, und nun muß der Kaliningrader Gouverneur Nikolai Zukanow für einen Wahlsieg seines Erzrivalen kämpfen. Eine Niederlage seines Parteifreundes in der Gebietshauptstadt dürfte er schwerlich überleben.

Eine unbekannte Größe ist der Blogger Dmitri Jewsjutkin, Kandidat der erst im Juni gegründeten Piratenpartei, den die gut 500 Königsberger Piraten per Internet-Urwahl bestimmten.

Bleiben die Kommunisten, die Königsberg als Hochburg betrachten. Bei der Parlamentswahl konnten sie in einzelnen Bezirken die Regierungspartei überflügeln. Ihren Kandidaten unterstützt auch die kleine kremlnahe Linkspartei Gerechtes Rußland.

Bei alledem ist die Diskussion um die politische Zukunft Königsbergs weit in den Hintergrund getreten. International thematisiert wurde diese zuletzt im Umfeld des EU-Beitritts der Polen und Litauer vor fast zehn Jahren. Damals spukten noch die Szenarien der neunziger Jahre in den Köpfen, als man im nördlichen Ostpreußen eine Brücke für das künftige paneuropäische Zusammenwachsen sah.

Inzwischen herrscht eine neue Phase der Konfrontation. Das Kaliningrader Gebiet ist jetzt ein Trojanisches Pferd. Es geht um strategische Ziele, über die kein Politiker spricht. Rußland sieht in seinem westlichen Vorposten den Hebel zu mehr Einfluß in Europa – dazu gehören die Bemühungen, die Einbindung der Polen, der baltischen Länder und auch Finnlands in den westeuropäischen Verbund zu lockern. Im Gegenzug unterstützt der Westen den Aufschwung im Kaliningrader Gebiet, hält aber Litauen und Polen an, es dessen Bewohnern nicht allzuleicht zu machen. So wurde das eben erst eingeführte Visaregime für den Kleinen Grenzverkehr von den Polen wegen angeblicher Überlastung wieder ausgesetzt. So etwas fällt auf Moskau zurück und führt zur Unzufriedenheit der Königsberger mit der russischen Führung.

Foto: Einweihung einer Plastik des alten Königsberg vor dem Dom am 3. Oktober: Interesse an den Wurzeln

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