© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Vom Rest der Welt getrennt
Literaturverfilmung: „Die Wand“ nach dem gleichnamigen Roman von Marlen Haushofer mit einer großartig aufspielenden Martina Gedeck
Claus-M. Wolfschlag

Der ungewöhnliche Kammerspielfilm führt in die österreichischen Alpen. „Die Wand“ beruht auf dem gleichnamigen Roman der österreichischen Förstertochter und Schriftstellerin Marlen Haushofer (1920–1970) aus dem Jahr 1963.

Eine namentlich nicht genannte Frau reist mit einem befreundeten Ehepaar für einen Wochenendausflug in dessen Ferienhaus, eine Jagdhütte in einem einsamen Tal. Am Abend bricht das Ehepaar auf, um noch kurz in das nahe gelegene Dorf zu wandern, versichert aber, vor der Dämmerung wieder zurück sein zu wollen. Doch das Paar kehrt auch am nächsten Morgen nicht zurück, so daß sich die Frau Sorgen macht und zu Fuß in die Ortschaft aufbricht. Sie wird diese allerdings nicht erreichen können, denn auf ihrem Weg stößt sie an eine unsichtbare Wand, eine magische Barriere, die sie nicht überwinden kann. Sie ist plötzlich in dem Tal gefangen und vom Rest der Welt abgeschnitten.

In Tagebuchaufzeichnungen berichtet die von Martina Gedeck („Das Leben der Anderen“, „Der Baader-Meinhof-Komplex“) großartig gespielte Protagonistin von ihren Ängsten in der Dunkelheit der Nächte, ihrem Überlebenskampf und ihrer Hinwendung zur Natur und den Tieren, zu denen sie eine treue Freundschaft aufbauen kann – einem Hund, zwei Katzen, einer Kuh.

Das Thema der Isolation von der menschlichen Zivilisation ist sicherlich kein neues, sondern im Gefolge von Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ zum Subgenre geworden: der „Robinsonade“.  Doch weist „Die Wand“ zahlreiche entscheidende Unterschiede etwa zu Filmen wie Robert Zemeckis’ „Cast Away – Verschollen“ von 2000 auf. Die Heldin ist zumindest nicht in die völlige Wildnis versetzt, sondern behält eine gewisse kulturelle Grundausstattung – ein geräumiges Haus, eingerichtet mit Möbeln, Bett, Herd, Ofen, Waffen, Kleidung und einem Vorrat an Nahrungsmitteln für die erste Zeit. Sogar die Zivilisation ist durch ein Fernrohr in Sichtweite, wenngleich kein Leben mehr auf der anderen Seite der Wand zu existieren scheint.

Ein anderer Unterschied ist, daß es sich bei der Protagonistin um eine Frau handelt, also um das vermeintlich eher „schwächere Geschöpf“, das um sein Überleben in der Einsamkeit kämpfen muß. Die dritte Besonderheit ist unzweifelhaft das phantastische Element der Wand. Deren Existenz wird nicht erklärt, auch nicht, welches Geschehnis ihr Auftauchen ausgelöst haben mag. Man könnte die Wand auch psychologisch als eine innere Abkehr der Frau von der modernen Zivilisation deuten, als einen Rückzug. Die Angst vor der Einsamkeit wäre demnach auch eine Angst vor dem selbst gewählten Entwicklungsschritt.

Dagegen spricht allerdings, daß die Wand sehr real angelegt ist. Sogar das Auto wird durch sie bei einem Fluchtversuch zerstört. Das Phänomen ist von der späteren Literaturkritik als Produkt der Atomangst der Nachkriegszeit gedeutet worden. Demnach stünde die Welt jenseits der Wand für die Selbstzerstörung der menschlichen Zivilisation. Die Heldin ist demnach behütet in einer Insel und zugleich in die Natur zurückgeworfen.

Regisseur Pölsler wuchs auf einem Bergbauernhof in der Steiermark auf. Bei den über ein ganzes Jahr verteilten 63 Drehtagen ging es ihm neben der Charakterdarstellung der Heldin vor allem darum, Wald und Berge möglichst authentisch zu zeigen. Seine Naturliebe erklärte er folgendermaßen: „Mit jedem Baum, der gefällt wird, stirbt auch ein Baum in mir. Die Demut vor der Schöpfung geht heutzutage leider völlig verloren.“

Das Ergebnis ist überaus gelungen, vermochte Pölsler doch, diese Welt der Natur in verzaubernd schöne Bilder zu bannen. Die feuchte, neblige Luft des Waldes, das pure Sonnenlicht der Alm, die Schwere des den Boden bedeckenden Schnees, all dies repräsentiert die mitteleuropäischen Jahreszeiten in praller Sinnlichkeit. Diese Welt durchwandert die Frau und erscheint vor manchem Panorama wie eine Figur aus einem der Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich. Dennoch gleitet die Naturbetrachtung nie in den sentimentalen Blick auf ein pures Idyll ab, zu stark wird man mit dem Schicksal der einsamen Heldin und ihrem Daseinskampf konfrontiert.

Die Frau macht dabei einen geistigen und körperlichen Veränderungsprozeß durch. Sie schwankt zwischen der Sorge vor der eigenen Vertierung und der Liebe zu den Tieren, die ihre einzigen Freunde werden. So wie sie ihre großstädtische Kleidung ablegt, um sich in praktische Funktionskluft zu hüllen, so erhält ihr Gesicht zunehmend harte Konturen. Die liebliche Steckfrisur des Anfangs wechselt sich ab mit wilden Locken und macht am Ende einer Kurzhaarfrisur Platz, unter der dem Betrachter ein wettergegerbtes Antlitz entgegenblickt.

Das mühsame Leben der Frau, bei dem sie den Wettergewalten ausgesetzt ist, eine Rückkehr zum Trapper- oder Almbewohnerdasein früherer Jahrhunderte, kann somit auch als eine Art der Läuterung für den Abfall des modernen Menschen von der Natur angesehen werden. Diesem sei die Liebe abhanden gekommen, obwohl dies doch die einzige Hoffnung auf eine bessere Welt gewesen sei, reflektiert die isolierte Heldin.

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