© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Die Amerikanisierung des Bildungswesens setzt sich fort
Mehr Analphabeten und Studienabbrecher, sinkendes Niveau: Das Institut für Staatspolitik über die anhaltende Diskreditierung des Leistungsprinzips
Wilhelm Frey

Es ist ein ambitioniertes Unternehmen, in einer „Wissenschaftlichen Reihe“ auf rund dreißig Seiten den „Schulkollaps“ beschreiben und dann auch noch erläutern zu wollen, „warum die Bildung in Deutschland vor der Katastrophe steht“. Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat mit Heft 19 seiner Reihe diesen Versuch unternommen, und er ist recht ordentlich gelungen. Für den Insider bringt das Heft zwar kaum Neues, dem bildungspolitisch wenigstens halbwegs aufgeschlossenen Leser bietet die kleine Studie mit ihren sorgfältig ausgewählten 120 Belegen aber doch einen kompakten Überblick.

Daß das deutsche Schulwesen – in manchen deutschen Ländern seit Jahrzehnten und besonders heftig – mitten in einem Kollaps steckt, läßt sich nicht mehr leugnen. Darüber mögen qua Erleichterungspädagogik und Abiturvollkaskopolitik hinfrisierte schöne Quoten und Noten nicht mehr hinwegtäuschen. So scheut sich das IfS denn auch nicht, bereits einleitend einige alarmierende Symptome zu benennen: wachsende Prozentanteile an Analphabeten, hohe Zahlen an Studienabbrechern, kollabierende Brennpunktschulen, massenhafter Unterrichtsausfall, Inflation bester Noten, staatlich verordnete Gluckenpädagogik, eine fortschreitende Entmündigung der Familie als Erziehungsinstitution und vieles andere mehr. Die ehemals weltweit beneidete Bildungsnation scheint nur noch aus der von Kanzlerin Merkel ausgegebenen rhetorischen Hülle einer „Bildungsrepublik“ zu bestehen.

Die IfS-Studie tut gut daran, die Anfänge und Hintergründe des real existierenden Kollapses mit der 68er-Generation in Verbindung zu bringen. Das will man in Zeiten einer „Educational Correctness“ nicht mehr wahrhaben. Aber die damals angesagten Ideologien der Egalisierung, der Autoritätsfeindlichkeit, der Infragestellung der Familie und der Diskreditierung des Leistungsprinzips haben ihren Weg durch die Instanzen und damit den Weg durch die Köpfe der Bildungspolitiker jeder Couleur, der Mehrzahl der sogenannten Bildungswissenschaftler sowie vieler Lehrer und Eltern gemacht.

Heute kommen als Faktoren zur weiteren Beförderung des Niedergangs des deutschen Schulwesens noch die Einflüsterungen aus einer „Bildungsökonomie“ hinzu, der es vor allem darum geht, Bildung auf das Meßbare und Verwertbare zusammenzustutzen. Eine seltsame Allianz von Sozialisten und Wirtschaftsfunktionären, die sich hier formiert hat! Man nehme nur einmal die Bertelsmann-Stiftung, die in manchen deutschen Ländern nicht zu Unrecht als das heimliche Bildungsministerium bezeichnet wird. Von den normierenden Einflüssen der OECD, einer Wirtschaftsorganisation, die sich mit der PISA-Testerei prächtig zu inszenieren weiß, ganz zu schweigen.

Die IfS-Studie belegt im einzelnen, wie das bewährte mehrgliedrige Schulwesen gezielt demontiert und wider besseres Wissen durch teure, aber leistungsschwache egalisierende Schulformen ersetzt wurde. Wie das vonstatten geht, kann man seit 2011 in Baden-Württemberg beobachten: Das „Ländle“ war bei Schulleistungstests gerade wegen seiner differenzierten Schulgliederung stets unter den führenden Ländern in Deutschland gelandet. Alles Vergangenheit! Die neue grün-rote Regierung schafft zum Beispiel die Leistungsvoraussetzungen für den Zugang zum Gymnasium ab und etabliert nach und nach Gemeinschaftsschulen, wiewohl deren Vorbild, die Gesamtschule, in allen innerdeutschen Schulleistungsvergleichen eine durchschlagende Erfolglosigkeit attestiert bekommen hatte.

Zu Recht nimmt das IfS die CDU mit in die Verantwortung. Schließlich hat diese Partei so ziemlich alle ihre bildungspolitischen Grundsätze – wie viele andere – über Bord geworfen. Ja, mehr noch: Die CDU hat überhaupt keine Lust mehr, Schulpolitik zu gestalten. Immerhin gibt es unter den sieben Ländern Deutschlands, in denen die CDU in der Landesregierung sitzt, nur noch zwei, in denen die CDU das Schulressort besetzt, nämlich in Niedersachsen und Sachsen. Ansonsten hatte man früher schon in Hamburg, hat man sodann im Saarland, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt, in Mecklenburg-Vorpommern und in Hessen die Schule den Grünen (wie vorübergehend in Hamburg und im Saarland), der SPD oder der FDP überlassen.

Es ist richtig, was die IfS-Autoren zumindest andeuten: Ursächlich für die Misere ist unter anderem ein „Anthropologieverbot“. Gemeint ist damit eine Tabuisierung anthropologischer Grundtatsachen, zum Beispiel daß Menschen eben auch hinsichtlich ihrer Begabungen nicht gleich sind, daß Schule ohne Leistungsbereitschaft nicht funktioniert und daß das Leistungsprinzip konstituierend für eine freie Gesellschaft ist.

Die Aussichten, die die IfS-Studie projektiert, sind angesichts zu weniger Protagonisten und Zentren des Widerstandes gegen den Schulkollaps nicht berauschend. Wir müssen wohl mit einer Amerikanisierung des Bildungswesens rechnen, das heißt, mit einer niveaulosen Bildung für die breite Masse und mit teuren, sozial selektiven Bildungseinrichtungen für die oberen Zehntausend.

Lesenswert ist das Heft in jedem Fall. Eines freilich hätte selbst auf dem verständlicherweise knapp bemessenen Platz, zumindest in einem kleinen Kapitel, seinen Niederschlag finden sollen: die nun allseits angesagte hohle Kompetenzenpädagogik eines curricularen Nihilismus, die konkretes Wissen als „obsoletierbar“ hinstellt und sprachliche Bildung zur Sprachbarbarei verkommen läßt. Solche Art von Pädagogik entpuppt sich nämlich mehr und mehr als ein weiteres Trojanisches Pferd des Bildungswesens in Deutschland.

 

Institut für Staatspolitik: Schulkollaps. Warum die Bildung in Deutschland vor der Katastrophe steht. Berlin 2012, broschiert, 48 Seiten, 5 Euro

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