© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Die Ohnmacht in der Frontstadt
Zwei „Welt“-Journalisten haben den Fall Peter Fechter untersucht: Das Schicksal und die Rezeption des bekanntesten Maueropfers, das 1962 im Kugelhagel der DDR-Grenzer starb.
Matthias Bath

Pünktlich zum 50. Todestag Peter Fechters hat der Berliner Quadriga-Verlag ein Buch zum Fall des wohl bekanntesten Maueropfers vorgelegt. Das in fünf Kapitel gegliederte Buch ist eindringlich und sehr anschaulich geschrieben und bietet gerade jüngeren Lesern einen guten Einblick in das Lebensgefühl der geteilten Stadt von 1962. Außerdem präsentiert es umfangreiches, zum Teil erstmalig veröffentlichtes Bildmaterial sowohl von den Ereignissen an der Mauer in der Zimmerstraße vom 17. August 1962 als auch von den nachfolgenden Demonstrationen vom 18. bis 21. August. Darüber hinaus zeigt das Buch 14 briefmarkengroße, farbige Miniprints von Berliner Tageszeitungen, vorwiegend aus dem Hause Springer, zwischen dem 12. und dem 22. August 1962.

Das erste Kapitel schildert die Ereignisse des ersten Jahrestages des Mauerbaus am 13. August 1962. Eindrucksvoll werden die Schweigeminuten um 12 Uhr Mittags in West-Berlin beschrieben. Es werden auch die Proteste an der Sektorengrenze erwähnt, aber doch sehr verkürzt dargestellt. Die Vorgeschichte der Flucht Peter Fechters und seines Freundes Helmut Kulbeik wird dagegen detailliert und kenntnisreich aufbereitet. Das eigentliche Fluchtvorhaben, die erfolgreiche Flucht Kulbeiks und das Scheitern Peter Fechters, wird auf der Grundlage vieler Zeugenaussagen ebenfalls sehr eindringlich und authentisch geschildert.

In Sichtweite des Tatortes befand sich in der Zimmerstraße auch das Verlagshaus des Ost-Berliner Union-Verlags, in dem das Parteiorgan Neue Zeit der Ost-CDU herausgegeben wurde. Bemerkenswert ist, daß von hier ein Fotograf der Neuen Zeit die Bergung Peter Fechters mit einem ganzen Film festgehalten hat, so daß diese heute lückenlos dokumentiert ist. Der wiederentdeckte Film war dem Fotografen unmittelbar nach den Aufnahmen von einem Stasi-Spitzel abverlangt und dem MfS ausgehändigt worden, wo er die Jahre im Archiv überdauerte.

Die Autoren zitieren ausgiebig die Schlagzeilen der West-Berliner Tagespresse vom 18. August 1962 und zeigen auch drei Miniprints von Zeitungen allein dieses Tages. Auffällig ist, daß dabei die Bild-Zeitung unerwähnt bleibt, die am 18. August mit der Schlagzeile „Vopos ließen 18jährigen verbluten – Amis sahen zu“ erschien. Der Ausbruch der nachfolgenden gewalttätigen Demonstrationen in West-Berlin am Nachmittag des 18. August wird zutreffend wiedergegeben.

Doch erscheint es verkürzt, wie im Nachwort des Welt-Herausgebers Thomas Schmid, die Demonstrationen auf reinen Antikommunismus zu reduzieren. Der Protest richtete sich doch wohl eher gegen die immer wiederkehrenden Bluttaten des Ostens und die seit dem 13. August 1961 festzustellende Untätigkeit des Westens gegenüber diesen Bluttaten, die das stillschweigende Einvernehmen der Besatzungsmächte über die bestehende Situation in Deutschland und Berlin bestätigte. Diese Komponente der seinerzeitigen Proteste wird auch in der inhaltlichen Darstellung nur am Rande thematisiert. Die Jahre des Mauergedenkens an Peter Fechter von 1962 bis 1990 werden dagegen wieder gut dokumentiert beschrieben. Für die Zeit ab 1990 stehen die Geschichte der Suche nach den Mördern Peter Fechters und des Strafverfahrens gegen die damaligen Schützen im Mittelpunkt. Von zentraler Bedeutung war hier der zunächst verschwundene Obduktionsbericht: Fechter war nur von einer Kugel getroffen worden, die jedoch absolut tödlich war, so daß Fechter trotz seines qualvoll langen Sterbens keine Überlebenschance hatte.

Schließlich wird auch die Ehrung Peter Fechters nach 1990 angesprochen. Uneingeschränkt zu begrüßen ist die im Buch aufgegriffene Anregung, eine Straße in Berlin nach Peter Fechter zu benennen. Hier bietet sich natürlich in erster Linie die Zimmerstraße an, in der Fechter am 17. August 1962 gestorben ist.

 

Lars-Broder Keil, Sven Felix Kellerhoff: Mord an der Mauer. Der Fall Peter Fechter. Quadriga Verlag, Berlin 2012, gebunden, 192 Seiten, 19,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen