© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Die Züchtung der Dummheit
Brisante Thesen zur Vererbung von Intelligenz: Der Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss prognostiziert den Niedergang unserer Industriegesellschaft durch Negativauslese.
Doris Neujahr

Den Leipziger Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss einen Tabubrecher zu nennen, hieße ihn herabzusetzen. Vor allem ist er ein unabhängiger Denker, dem es um Wahrheit und Klarheit geht. Der fällige Tabubruch ist nur die unvermeidliche Begleiterscheinung. Weiss gehört zu den wichtigsten Ideengebern für Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Seine Forschung zur Erblichkeit der Intelligenz begann er in der DDR, wo Theorie und Praxis lange Zeit strikt egalitär ausgerichtet waren: Arbeiter- und Bauernkinder wurden beim Zugang zu Abitur und Studium bevorzugt (und andere dafür diskriminiert), die Einkommensunterschiede waren gering, und der Arzt und der Arbeiter, die Tür an Tür wohnten, waren sprichwörtlich.

Die Versuchsanordnung führte zu einem unerwarteten Ergebnis: zum empirischen Beweis, der das ideologische Dogma widerlegte, daß ausschließlich die sozialen Umstände für die Bildungsfähigkeit ausschlaggebend seien. Denn die Akademikerpaare – die sich zu großen Teilen aus Arbeiter- und Bauernkindern rekrutierten – brachten trotz ähnlicher Lebensumstände in aller Regel wieder den intelligenteren Nachwuchs hervor. Eine Art von natürlicher Auslese fand statt. Im Buch „Die IQ-Falle“ (2000) hat Weiss seine Thesen ausführlich dargestellt und belegt.

Auch im neuen Buch werden viele Fallbeispiele, Tabellen und Statistiken angeführt. Doch geht der Autor weiter und zugleich über Sarrazins ökonomisch-sozialen Analysen und politische Kritik hinaus. Er stellt den Zusammenhang her zwischen den Ergebnissen der Intelligenzforschung und den langfristigen Entwicklungen in Kultur und Gesellschaft. Ausdrücklich bezieht er sich im Vorwort auf Oswald Spengler, Edgar J. Jung und Hans Domizlaff. Die westliche Gesellschaft sieht er im Niedergang zur „Diktatur des Proletariats“, zur Pöbelherrschaft, begriffen. Indikator und Triebkraft sei der kontinuierlich sinkende, durchschnittliche Intelligenzquotient (IQ) der Bevölkerung. Der Grund dafür liege letztlich in der modernen Massendemokratie, die den Sozialstaat erzwingt. Dieser rege diejenigen zur Reproduktion an, deren IQ unterdurchschnittlich ist und die deshalb zum Funktionieren der Wirtschaft, die für den Massenwohlstand die Basis bildet, wenig beitragen können.

Zwar hält Weiss an der Aristoteles-Formel fest, daß die Demokratie unter den schlechten Regierungsformen die beste sei, doch ihm ist klar, daß es dabei nicht bleiben muß. Vor allem besitzt die Demokratie keinen Ewigkeitsanspruch. Sie läuft Gefahr, sich selbst zu kannibalisieren, weil sie einen Typus favorisiert, der die Grundlagen funktionierender Staatlich- und Gesellschaftlichkeit auf demokratischem Wege zerstört. Mit der Massengesellschaft und -demokratie rückte die soziale Frage in den Mittelpunkt, woraus der sukzessive Ausbau des Wohlfahrtsstaates folgte. Schon 1840, als die Industrialisierung in Deutschland gerade erst begann, warnte ein scharfsichtiger Zeitgenosse: „Der Staat lasse sich nie dazu verleiten, aufs Betteln und Kinderzeugen Prämien zu setzen.“ Wer Kinder zeugte, mußte in der Lage sein, diese auch zu ernähren. 1891 aber wurden am selben Tag in Preußen die Steuerprogression und die Steuerbefreiung von Geringverdienern mit Kindern beschlossen. Weiss kommentiert: „Wir wissen heute: An diesem Tag begann die Züchtung der Dummheit.“

Das war damals nicht absehbar, denn noch führte die Industrialisierung zur Bildungsexpansion und zur Steigerung der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten. Doch spätestens 1970 kehrte der Trend sich um. Heute macht die Steuerprogression den sozialen Aufstieg uninteressant und mindert den Willen dazu. Einem Facharbeiter wird die Hälfte seines Einkommens zu Umverteilungszwecken entzogen, so daß es ihm unmöglich ist, sich mit seinem selbstverdienten Geld gegen Risiken abzusichern. In der Folge stellt er seinen Kinderwunsch zugunsten derjenigen zurück, die durch Kinderreichtum ihre staatlichen Zuwendungen erhöhen und im übrigen für die Generierung von Sozialhilfedynastien sorgen.

Der praktizierte Gleichheitsgrundsatz führt nicht zur Chancengleichheit, sondern zur Negativauslese und zur sozialen und qualitativen Entropie. Denn ein immer größerer Anteil des Nachwuchses stammt von Eltern aus sozialen Unterschichten, deren prekäre Lebensumstände mit einem niedrigen IQ einhergehen. Damit sind aufgrund der Vererbungslehre immer weniger künftige Erwachsene in der Lage, die komplizierte Maschinerie moderner Daseinsfürsorge zu bedienen. Die Dynamik des Sozialstaats ist der strukturelle Feind der Intelligenz und ebnet den Weg ins „Große Chaos“.

Das Absinken des durchschnittlichen IQ korrespondiert mit herabgesetzten Bildungsstandards und der Inflationierung von akademischen Abschlüssen. Während die Natur- und Ingenieurswissenschaften unter Bewerbermangel leiden, werden die Geisteswissenschaften – vor allem die Soziologie, Politologie, Geschichtswissenschaft – von Studenten überschwemmt, die gar nicht studientauglich sind, die später aber als Journalisten, Politiker und Pseudo-Experten den öffentlichen Diskurs bestimmen. Die akademische Negativauslese erklärt auch das ideologische Ressentiment und die Ignoranz, die Sarrazin und Weiss aus den Sozialwissenschaften entgegenschlagen: Sie sind ein weiteres Indiz für die Unzuständigkeit der Protagonisten und das Schwinden des geistigen Niveaus.

Weiss hat ein vielschichtiges Buch verfaßt, dessen Brisanz eher hinter- als vordergründig ist. Es macht den Blick frei für die schwindelerregende  Tiefendimension aktueller Probleme und Fragestellungen.

Volkmar Weiss: Die Intelligenz und ihre Feinde. Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft. Ares Verlag, Graz 2012, gebunden, 544 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen