© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

„Unser Häuptling ist Schotte“
Niedersachsen: Ministerpräsident McAllister muß um seine Wiederwahl bangen
Christian Vollradt

Mit dem Begriff „Schicksalswahl“ sollte man sparsam umgehen; für die Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar kommenden Jahres erscheint er angebracht. Denn der Urnengang hat für gleich mehrere Protagonisten weitreichende Folgen. Für David McAllister (CDU), Ministerpräsident seit Juli 2010, ist es der erste Lackmustest als Amtsinhaber. „Laßt uns fünf weitere Jahre die erfolgreiche Arbeit fortsetzen“, rief McAllister am vergangenen Freitag den Delegierten des Landesparteitags in Celle zu, die ihn einstimmig als Spitzenkandidat nominierten. Daß die Bilanz der von ihm geführten schwarz-gelben Regierung positiv ausfällt, davon ist der 41jährige fest überzeugt: eine wachsende Wirtschaft, die niedrigste Arbeitslosenzahl seit 20 Jahren, eine gesunkene Neuverschuldung und mehr Lehrer.

Doch mit der Fortsetzung dürfte es schwierig werden, was jedoch weniger an der CDU, die in Umfragen derzeit mit 37 Prozent weiterhin stärkste Kraft wäre, sondern am Koalitionspartner FDP liegt, die mit vier Prozent um den Wiedereinzug in den Landtag bangen muß. Scheitern die Freien Demokraten, würde dies mit ziemlicher Sicherheit auch das Ende der Amtszeit von FDP-Chef Philipp Rösler. Denn eine Klatsche für Röslers Heimatverband wäre ein gefundenes Fressen für seine innerparteilichen Kontrahenten, die den Bundeswirtschaftsminister lieber heute als morgen von der Parteispitze stürzen wollen.

Entspricht das Wahlergebnis in knapp hundert Tagen den Stimmungswerten dieser Tage, dann sitzen in der nächsten Legislaturperiode nur noch drei statt fünf Fraktionen im Leineschloß. Denn auch der Linkspartei (vier Prozent) droht das Scheitern an der Fünfprozenthürde. Die Truppe aus kommunistischen Altkadern und Antifa-Aktivisten blieb in den vergangenen fünf Jahren auffallend blaß. In die Schlagzeilen geriet sie eigentlich immer nur dann, wenn eines ihrer Mitglieder wahlweise den Mauerbau und die DDR-Staatssicherheit krude rechtfertigte oder sich bei Demonstrationen mit den Ordnungshütern handgreiflich anlegte. Ansonsten moserte die Linksfraktion vor allem an den beiden größeren Oppositionsfraktionen herum, weil ihr die SPD nicht sozial, die Grünen nicht ökologisch genug waren.

Bisher nur von unten kratzen auch die Piraten zwischen Ems und Elbe an der Sperrklausel. Sie haben das Klischee der nabelschauenden Nerds und Polit-Dilettanten eindrucksvoll bestätigt, indem sie erst im dritten Anlauf eine Kandidatenliste zustande brachten. Hinzu kommen – zum Teil vor Gericht ausgefochtene – innerparteiliche Auseinandersetzungen über die Gültigkeit von Parteitagsbeschlüssen.

Vor diesem Hintergrund ist einleuchtend, warum die Siegeszuversicht in der Union nicht gerade überwältigend ist. „Gegen die CDU darf es keine Regierungsbildung geben“, gab sich Ministerpräsident McAllister auf dem Parteitag geradezu bescheiden und defensiv. Denn trotz guter Zustimmungswerte für seine Person (46 Prozent würden ihn direkt wählen) ist ein Wechsel der Mehrheit zugunsten von SPD (33 Prozent) und Grünen (15 Prozent) wahrscheinlich. Und obwohl die Grünen auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende bekräftigt haben, ein Bündnis mit der Union sei „aktuell nicht vorstellbar“, streckt McAllister zu ihnen bereits die Fühler aus. Dazu paßt die von der CDU im beginnenden Wahlkampf auffallend betonte Vorreiterrolle Niedersachsens bei der Energiewende. Knackpunkte eines schwarz-grünen Bündnisses wären dagegen der von der Union geforderte und den Grünen abgelehnte Ausbau von Autobahnen. Auch die Festlegung der Grünen, die Atommüll-Endlagerung in Gorleben auszuschließen, dürfte sich eher mit der SPD umsetzen lassen. Demgegenüber hat die CDU mit der Einführung der Oberschule und damit der faktischen Abschaffung der Hauptschule bildungspolitisch den Weg zur SPD bereits geebnet.

McAllisters Situation ist also ziemlich vertrackt. Einst wurde er von der Partei für seine Angriffslust und seine mitreißende Rhetorik gefeiert, nun führt er Wahlkampf mit angezogener Handbremse, was wiederum nicht jedem an der Basis schmeckt. Er muß – nach mehreren für die Union enttäuschenden Landtagswahlen – ein gutes Ergebnis einfahren und kann eine Zweitstimmenkampagne zugunsten der FDP nicht zulassen. Er muß wohl oder übel auch seinen Vorgänger Christian Wulff in die Erfolgsgeschichte einbetten, gleichzeitig diese Affären-Altlast aus dem Wahlkampf heraushalten.

Fällt Schwarz-Gelb in Hannover, färbt das negativ auf Berlin ab. Um eine rot-grüne Mehrheit zu verhindern, müssen beide Konkurrenten auf Abstand gehalten, gleichzeitig aber als potentieller Koalitionspartner nicht vollkommen verprellt werden. Dabei stellt der grüne Spitzenkandidat Stefan Wenzel die größere Herausforderung dar als der eher blasse SPD-Mann Stephan Weil. Die Wahlkampfstrategen der CDU setzen jedenfalls ganz auf Personalisierung und schlachten dafür den schottischen Hintergrund des Spitzenkandidaten augenzwinkernd aus. „Unser Häuptling ist ein Schotte und wir sind ein starker Clan ...“, heißt es im Wahlkampflied. Was aber, wenn enttäuschte CDU-Wähler „schottisch“ denken und sich den Weg an die Urne sparen?

Foto: CDU-Anhänger auf dem Parteitag in Celle: Angst vor dem Absturz des liberalen Koalitionspartner

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