© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Thema mit Zukunft
Marcus Schmidt

Ich bin kein Pole, ich wohne nur dort“, sagt Norbert Rasch und erntet dafür Applaus im Fraktionssaal von CDU/CSU im Reichstag. Der agile 41jährige ist Vorsitzender der deutschen Minderheit in Oppeln und war am Montag auf Einladung der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der Unionsfraktion nach Berlin gekommen. Rasch machte durch seine Anwesenheit deutlich, daß das Thema der Deutschen in Ost- und Mitteleuropa nicht mit dem Verschwinden der Erlebnisgeneration der Vertriebenen erledigt ist – auch für die deutsche Politik nicht.

Auf dem Kongreß unter dem Titel „Aussöhnung als Aufgabe, Deutschlands Arbeit an den Kriegsfolgen seit 1945“ ging es dann nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um Gegenwart und Zukunft – soweit eine genaue Unterscheidung denn überhaupt immer möglich war. Für die Bundesregierung gab deren Aussiedler- und Minderheitenbeauftragten Christoph Bergner (CDU) das Ziel aus, die „ethno-kulturelle Identität“ der Deutschen im Ausland zu erhalten, also die Minderheiten in ihrem Bestand zu sichern. Er verwies bei dieser Gelegenheit darauf (schließlich wird im nächsten Jahr gewählt), daß Rot-Grün die hierfür nötigen Mittel zwischen 1998 und 2005 von 72 Millionen auf 19 Millionen Euro im Jahr zusammengestrichen hatte.

Während sich in den Siedlungsgebieten also unter anderem die Frage stellt, wie die deutsche Sprache auch an den Schulen an die nächste Generation weitergegeben werden kann, geht es in Deutschland mittlerweile darum, die Erinnerungen an Flucht und Vertreibung in das kulturelle Gedächtnis zu übertragen, wie es der Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg, Joachim Mähnert, formulierte. Diesem Zweck dient nicht zuletzt das heftig um- und bekämpfte Zentrum gegen Vertreibungen, das in Gestalt der Berliner Daueraustellung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung nun realisiert wird.

Daß die Auseinandersetzungen dennoch weitergehen, zeigte die Diskussion über das Konzept der Ausstellung. Während Stiftungschef Manfred Kittel dieses wegen seiner „Multiperspektivität“ lobte, kritisierten andere Experten gerade die Unbestimmtheit des Papiers. Einig war man sich am Ende darüber, daß es sich bei der Vertreibung der Deutschen eher nicht um einen Völkermord gehandelt habe. Der Historiker Karl Schlögel wertete das Projekt trotz aller Auseinandersetzungen als einen enormen Fortschritt hin zu einer Beruhigung und Enthysterisierung.

Wie „belastet“ das Thema Flucht und Vertreibung heute immer noch ist, machte der junge Regisseur und Drehbuchautor Rick Ostermann deutlich, der gerade an einem Spielfilm über das Schicksal der Wolfskinder am Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitet. Zur Vorbereitung des Projektes hatte er einen Kurzfilm zu dem Thema gedreht. Im Schneideraum erreichte ihn dann nach Drehschluß der Anruf einer Frau aus dem Filmteam, die ihn bat, ihren Namen aus dem Abspann zu streichen. Die Begründung: „Ich will nicht in einem Film erwähnt werden, der Deutsche als Opfer zeigt.“

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