© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Paß auf, was du sagst
Utah Data Center: Der US-Geheimdienst NSA baut die größte Kommunikations-Überwachungszentrale aller Zeiten
Ronald Gläser

Bill Binney stand morgens unter der Dusche, als der Streit mit den Behörden richtig eskalierte. FBI-Beamte standen plötzlich vor seiner Dusche und zerrten ihn heraus, die Pistolen auf seinen Kopf gerichtet.

Binneys Fehler war, daß er sich mit den falschen Leuten in Washington angelegt hatte. Der Geheimdienstmann hatte als führender technischer Berater der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA) gearbeitet und war im Oktober 2001 in den Ruhestand gegangen. Danach hatte er Informationen über das ausgeklügelte Überwachungssystem seines früheren Arbeitgebers preisgegeben. Erst an andere Regierungsbeamte, dann an die Presse.

Schließlich trat Binney selbst offen im Fernsehen auf, um die Amerikaner zu warnen. Zu warnen vor dem Bigbrother-Staat, der inzwischen mehr über das Privatleben der Bürger herausfinden könne als die Stasi oder der KGB. 2007 erhielt er deshalb den unerwarteten Hausbesuch, bei dem er sich an die DDR erinnert habe, so Binney bei seinem Auftritt in der Glenn-Beck-Show am 1. Mai.

Binney ist nicht der einzige amerikanische Regierungsbeamte, der sich über die immer neuen staatlichen Überwachungsmethoden den Kopf zerbricht. Er gehört zu einer Gruppe von Regierungsbeamten, die sich als Informanten – die Amerikaner sagen Whistleblower (von engl. to blow a whistle, dt. die Pfeife blasen) – betätigt haben.

Neben Binney ließen die Mitarbeiterin des Geheimdienstausschusses Dianne Roark und der leitende NSA-Beamte Tom Drake immer wieder Details über ein geplantes Projekt durchsickern, weil sie damit nicht einverstanden waren. Auch bei ihnen wurden im Jahr 2007 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Drake wurde drei Jahre später sogar angeklagt. Vorwurf: Verstoß gegen das Spionagegesetz von 1917, das damals gezielt gegen deutsche Geheimagenten erlassen worden war.

Doch Drake ist Amerikaner und hat nicht gegen sein Land gearbeitet, sondern für die Vereinigten Staaten und für die Verfassung, gegen die von seinen Chefs permanent verstoßen wird. So sieht er die Sache zumindest (siehe Interview Seite 3).

Der Fall der drei Whistleblower ist nur ein Mosaikstück der Geschichte, die sich um die geheimnisvolle NSA rankt. Die berühmt-berüchtige Abhöragentur der amerikanischen Regierung bastelt angeblich zur Zeit an einem Überwachungsmechanismus, der Erich Mielke vor Neid erblassen lassen würde. Die 30.000-Mann-Behörde arbeitet an einem Großprojekt, das es in sich hat. Nicht mitten in der Hauptstadt – so wie etwa der deutsche Bundesnachrichtendienst, der in Berlin-Mitte seine Zentrale errichtet –, sondern in einem abgelegenen Mormonen-Staat wird eine Abhörzentrale gebaut, die den gesamten Nachrichtenverkehr Amerikas überwachen soll.

Es ist ein monströses Projekt. Über 300.000 Quadratmeter groß und 1,5 Milliarden Euro teuer. In der Prärie von Utah entsteht auf einem Gelände der Nationalgarde (Camp Williams) in der Nähe von Salt Lake City ein abgeschirmter Geheimdienstkomplex, über den viele Gerüchte kursieren. Das angesehene Computermagazin Wired hat die wichtigsten Fakten über das harmlos klingende Utah Data Center zusammengetragen, die sich trotz großer Geheimhaltung herausbekommen ließen.

Das NSA-Projekt, das im September oder Oktober 2013 seinen Dienst aufnehmen soll, wird der Überwachung der Kommunikation in den USA dienen. Folgende Informationen sollen erfaßt und gespeichert werden: Telefonlisten, E-Mails mit vollem Inhalt, die Eingabe von Suchbegriffen bei Google und alle anderen Spuren, die ein Bürger in der digitalen Welt hinterläßt wie Fahrkarten, Parktickets oder Bibliothekenquittungen. „Jeder, der kommuniziert, ist auch ein Überwachungsgegenstand“, zitiert der Enthüllungsbericht einen nicht namentlich genannten NSA-Insider. Tom Drake vermutet, daß „Informationen über Bankkonten und Geschäftsbeziehungen sowie soziale Netzwerke“ gespeichert werden. Und zwar von jedem.

Die NSA wurde nach Pearl Harbor gegründet und ist dem Verteidigungsministerium untergeordnet. Ihre Aufgabe bestand darin, einen neuen Überraschungsschlag gegen die USA zu verhindern. Aber dann gab es nach der Zeitenwende von 1989/90 einige herbe Rückschläge wie den ersten Bombenanschlag auf das World Trade Center 1993, die Angriffe auf Botschaften und Kriegsschiffe der US-Marine in Übersee und schließlich den Angriff vom 11. September 2001. Nichts davon hat die NSA vorausgesehen – ihrem Milliardenetat zum Trotz.

Statt das Behördenmonster abzuschaffen, wurden seine Befugnisse erweitert. Im Zeitalter des Kampfes gegen den Terror wurden Bedenken beiseite geschoben und der Überwachungsapparat auf die eigenen Bürger ausgeweitet. Es geht um das, was bei uns unter dem Begriff Vorratsdatenspeicherung diskutiert wird, nämlich Verbindungsdaten von Telefon- und Internetnutzern – und um noch viel mehr. Telefonate – auch mit Skype – können abgehört und E-Mails ebenso mitgelesen werden wie Facebookeinträge. Der Monsterkomplex in Utah soll angeblich dazu dienen, all diese Informationen auch noch zu speichern. Vorübergehend oder gar dauerhaft.

Offiziell teilt die NSA mit, das Projekt sei dazu da, „die Nachrichtendienste zu unterstützen und das Land zu schützen“. Für den Betrieb der Anlage werden 65 Megawatt Strom pro Jahr benötigt. Mit dieser Menge könnten 40.000 Haushalte versorgt werden. Ein Hochsicherheitszaun, Überwachungskameras, ein biometrisches Ausweissystem und scharfe Eingangskontrollen sollen die Anlage vor ungebetenen Gästen schützen.

Das Areal umfaßt große Generatoren, um den immensen Energiebedarf auch bei Stromausfall decken zu können. Hinzu kommen große Kühlanlagen sowie riesige Hallen für die Rechner, die mit Yottabytes hantieren können – einer Datenmenge, die so groß ist, daß die Wissenschaft dafür noch keinen richtigen Namen gefunden hat. 2015 wird das gesamte Datenvolumen des Internets einer Schätzung der Computerfirma Cisco zufolge 966 Exabytes betragen. Eine Million dieser Exabytes bilden ein Yottabye. Mit anderen Worten: Die Datenmengen, die das Utah Data Center verarbeitet, sind gleichsam unvorstellbar. Sie würden 500.000.000.000.000.000.000 Seiten Papier füllen.

Um diese Daten speichern zu können, muß die NSA sie zunächst einmal sammeln. Wired schreibt, die NSA habe sich während der Bush-Jahre Zugang zu sämtlichen wichtigen US-Telefongesellschaften wie AT&T oder Verizon verschafft und könne dort ungehindert alles mitschneiden. 2008 wurden diese fragwürdigen Maßnahmen per Gesetz (Foreign Intelligence Surveillance Act, FISA) nachträglich legalisiert. Vor einem Monat stimmte das Repräsentantenhaus für eine Verlängerung um weitere fünf Jahre.

Laut Wired gibt es eine Liste mit einer Million Verdächtiger. Alle E-Mails und Anrufe der betroffenen Personen würden gespeichert. Eine frühere NSA-Mitarbeiterin wird von Wired mit den Worten zitiert: „Sämtliche Regeln wurden nach dem 11. September über Bord geworfen, und sie rechtfertigten jede neue Spionagemaßnahme gegen die Amerikaner.“

Leute wie Binney und Drake haben nach dem 11. September versucht, ihre Behörde dazu zu bringen, daß sie einen rechtstaatlichen Weg geht und die Überwachungen wenigstens pro forma von Gerichten absegnen läßt. Vergeblich. Sie vermuten beide, daß die Behörden derzeit alles abhören und speichern, was sie kriegen können.

Inzwischen ist die Technik weiter vorangeschritten. Angeblich hat die NSA schon vor Jahren einen großen Sprung nach vorn gemacht beim Dechiffrieren verschlüsselter Nachrichten. Das heißt, daß auch diese Abwehrmaßnahme des Bürgers nicht mehr davor schützt, abgehört oder ausgespäht zu werden.

Auch die US-Bundespolizei ist am Abhören und Mitlesen im großen Stil interessiert. Im Mai berichtete das Nachrichtenportal CNet, das FBI habe bei Microsoft, Facebook und anderen um eine Änderung der Programmierung gebeten, damit es für die Behörde einfacher werde, die Nachrichten mitzuprotokollieren. Seit 1994 sind Kommunikationsdienstleister nach dem Calea-Gesetz verpflichtet, ihre Produkte den Wünschen von Regierungsbehörden anzupassen.

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