© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Pankraz,
W. Winkler und das schöne Krähwinkel

In fadester Weise macht sich Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung lustig über die Aufmerksamkeit, die neuerdings die kleinen, regionalen und lokalen Verhältnisse im Volk und auch in den Medien erfahren. Er höhnt über die angebliche Rückkunft von „Krähwinkel“ und über aufdringlichen „Lokalpatriotismus“, warnt vor „Heimattümelei“ und wärmt mit polemischer Absicht und im Bewußtsein eigener „weltläufiger Intellektualität“ den einst, vor hundert Jahren, viel diskutierten Gegensatz zwischen Stadt und Land, glanzvoller Metropole und zurückgebliebener Provinz wieder auf.

Der erstaunte Leser fragt sich zunächst, wo denn heute noch „Provinz“ vorkommt, welche sich in Sachen Weltläufigkeit von der „Metropole“ abhebt. Wenn Fernsehen in die hintersten Winkel reicht und jeder sich ans Internet anschließen kann, wenn in Null Komma nichts jeder beliebige Ort der zivilisierten Welt zu erreichen ist und viele Zeitgenossen während des Urlaubs auf fernsten Kontinenten herumsurfen, ist es doch völlig gleichgültig, ob man in einer „Metropole“ oder auf dem „flachen Land“ wohnt.

Fast könnte man auf den Gedanken kommen, die vielen Reportagen aus der „Provinz“, die viele Volksmusik und die gutgelaunten Trachtenparaden im Fernsehen seien eine Erfindung raffinierter internationaler Investoren, die damit ein ausgesprochen metropolitanes Bedürfnis bedienen. Denn viele, sehr viele Metropolenbewohner sind heute ihrer Metropole ziemlich überdrüssig, sie dürsten geradezu nach Landlust, Volksmusik und altem Brauchtumszauber, und dieser Durst ist ein echter Marktrenner, verspricht hohe Renditen.

Die meisten Honoratioren in den ländlichen Gemeinden und kleinen Städten sind mit der Kommerzialisierung ihrer Heimat auch voll einverstanden, forcieren sie sogar. Sie sehen darin ein willkommenes Mittel, um ihre überwiegend klammen Haushaltskassen aufzufüllen, neue Geldquellen für dringend notwendige Sanierungsarbeiten zu erschließen und sich überhaupt überregionales Renommee zu verschaffen. Das Tourismusbüro ist überall zur wichtigsten Abteilung der Stadt- oder Gemeindeverwaltung geworden und vielerorts direkt dem Bürgermeister unterstellt.

Aber bei weitem nicht alle aktuellen Heimattöne in den Medien sind Ausfluß bloßer Tourismusindustrie und schnöder Kommerzialisierungsabsicht. Oftmals und immer öfter begegnet man Reportagen, Konzerten, Ausstellungen und Erzählungen, die gänzlich frei sind von irgendwelchen Nebenabsichten, denen es einzig um die Sache selbst geht, also um die Heimat und ihre Notwendigkeit für das seelische Gleichgewicht des einzelnen Menschen und seiner Nächsten. Der Zuhörer, Zuschauer oder Leser lernt dabei nicht nur eine Menge, sondern sein eigenes Inneres wird dabei tief berührt und direkt herausgefordert.

„Wohin mit dem Heimatbedürfnis“, fragt Willi W. in seiner SZ-Diatribe, „wenn es doch eine Heimat immer weniger gibt, wenn die Städte sich um eine überall gleiche Innenstadtmöblierung bemühen und das Schönste dann doch die Autobahn zum nächsten Flughafen ist und dann ganz weit, weit weg? (…) Kann man sich denn nicht damit abfinden, daß unterm Auge Gottes beziehungsweise bei Google Earth alle gleich sind?“

Man sollte die Ignoranz nicht zu weit treiben, sie nicht zur puren Dummheit ausweiten. Der Mensch ist ein Heimattier, keine Kellerassel, und läßt sich nicht davon abbringen. Er weiß spontan, daß das Auge Gottes nicht identisch ist mit Google Earth, daß vor jenem keineswegs alle gleich sind, sondern daß es im Gegenteil gerade im Angesicht Gottes darauf ankommt, das je Eigene vorzuzeigen und zu rechtfertigen, es mit höchster Mühe wohlgefällig zu gestalten. Wenn progressive Journalisten es besser wissen, so ist das ihre Angelegenheit und läßt sich nicht verallgemeinern.

Mag sein, viele Städte haben in der jüngsten Vergangenheit die Macke ausgebildet, überall die gleiche Innenstadtmöblierung einzuführen; der heimatbedürftige Bürger ist damit aber nicht einverstanden und läßt das die großkopfigen Stadtbürokraten zunehmend spüren. Seine erste Reaktion war in der Tat die Flucht, die Fahrt zum Flughafen und dann „ganz weit, weit weg“. Doch inzwischen hat er gemerkt, daß er von der Ferne nur ergriffen wird, falls diese ihm ihrerseits ihr je Eigenes vorzeigt, und daß er sich verächtlich macht, wenn er selbst anders handelt.

So also kam es hierzulande zu der jetzt überall wahrnehmbaren „Heimatwelle“. Winkler hält sie kurioserweise für einen krähwinkligen Minderwertigkeitskomplex angesichts des Glanzes der großen Metropolen. Dagegen sehe man sich im Fernsehen eine der so beliebten Sendungen aus irgendeinem kleinen Provinznest an, wo etwa ein Handwerker dem Reporter ausführlich eine traditionelle, lokal geprägte Herstellungstechnik vorführt! Da ist nicht die Spur von Minderwertigkeitskomplex, vielmehr äußerste Präzision, gepaart mit verhaltenem Stolz.

Die Verteidigung der Heimat gegen Gleichmacherei und großbürokratische Hybris ist ein ausgesprochenes Geschäft des Stolzes. „Man kann aus der Heimat nicht vertrieben werden“, sagen viele Psychologen, „denn die Heimat ist der Bezirk unserer Kindheit, der uns unwiderruflich prägt und unsere Erinnerungen teuer macht.“ Das ist natürlich wahr, aber es stimmt auch, daß die Heimat der Quellgrund unseres Stolzes, unseres existentiellen Stolzes ist – sofern wir uns bemühen, diesen Quell über Generationen hinweg rein zu halten und seine Besonderheiten aufleuchten zu lassen.

Was übrigens das vielgeschmähte, auch von Winkler negativ gegen die Heimatbedürftigen verwendete Krähwinkel betrifft, so hatte das durchaus auch sein Gutes. Der „Krähwinkler Landsturm“ galt im alten Preußen als anerkanntes Symbol bedächtiger Langsamkeit. Bei Gewaltmärschen erklang manchmal das erquickende Scherz-Kommando: „Nicht so schnell, der Krähwinkler Landsturm kommt nicht mir!“

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