© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Reale Begegnungen
Effekthascherei und Zukunftsängste: Eine Nachlese zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse
Georg Ginster

Liebe, Freundschaft, E-Book, Frieden und Miau! gehören, so meldet die Frankfurter Buchmesse auf ihrer Internetseite, zu den Lieblingswörtern ihrer diesjährigen Besucher. Knapp über 281.000 sind es diesmal insgesamt gewesen, die sich auf die mit 7.300 Ausstellern weltweit größte Branchenveranstaltung ihrer Art locken ließen.

In diesem Jahr war der Andrang insbesondere an jenen beiden Tagen, die nicht bloß für das Fachpublikum reserviert waren, so außergewöhnlich, daß die Ordnungskräfte zeitweise alle Mühe hatten, die Menschenströme in die im Zentrum des Interesses stehenden Hallen zu leiten. Der geringere Zuspruch von professionellen Fachbesuchern in den ersten Tagen (minus 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr) konnte auf diese Weise sogar mehr als kompensiert werden.

Davon unangenehm berührt waren nicht zuletzt die jugendlichen Anhänger eines japanischen Kostümspiels, die ansonsten bevorzugt in Sozialen Netzwerken im Internet unterwegs sind und die Messe in den letzten Jahren als reale Begegnungsstätte für sich entdeckt haben. Sie schienen im Trubel diesmal etwas unterzugehen, auch wenn sich dies nicht durch offizielle Zahlen verifizieren läßt.

Über die Präsentation von Produktneuheiten hinaus hat sich die Messe auch durch die in ihrem Rahmen vergebenen Preise und veranstalteten Events ein Profil gegeben. Das elitäre Feuilleton blickt hier natürlich insbesondere auf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, mit dem in diesem Jahr der chinesische Schriftsteller, Dissident und Emigrant Liao Yiwu (54) bedacht wurde.

Als die Jury ihre Entscheidung fällte, konnte sie noch nicht ahnen, welchen Kontrapunkt sie damit zu der Verleihung des Literaturnobelpreises an den als staatsloyal verdächtigten und aus den Kulturinstitutionen des chinesischen Militärs entwachsenen Mo Yan (57) setzte. Vor allem älteren Kulturschaffenden, die sich noch an die einstigen Diskussionen über die gesellschaftliche Verantwortung des Intellektuellen erinnern, war auf diese Weise reichlich Gesprächsstoff geboten.

Andere Auszeichnungen mögen dadurch etwas in den Hintergrund getreten sein, so etwa der in den Kategorien „Aufsteiger“ und „Buch“ verliehene Deutsche Cartoonpreis sowie der gleich in fünf Publikums- und drei Jury-Kategorien differenzierte Comic-Preis Sondermann 2012. Bei dem deutschen Kindersoftwarepreis TOMMI gab es einen Doppelsieg für einen alten Bekannten: Eine Jury aus 3.500 minderjährigen Anwendern wählte Super Mario 3D Land und New Super Mario Bros. 2 auf die beiden vorderen Plätze. Allerdings gab es auch kritische Töne aus der Spiele-Community: Manche beklagten, daß die Hersteller nur mit wenigen Neuheiten gegenüber der Gamescom 2012 aufwarteten, die vor zwei Monaten in Köln stattgefunden hat.

Enthusiastisch waren die Messeveranstalter jedoch hinsichtlich der Resonanz auf das StoryDrive-Festival. Das abwechslungsreiche Programm der Innovations- und Trendplattform in Zusammenarbeit mit der Audi AG lockte am Wochenende 1.000 Gäste an. „Auch in Zeiten komplexer Digitalisierung“, so die gewichtige Botschaft der Messe, „werden einzigartige Momente, echte Begegnungen und gelebte Geschichten das Dasein der Menschheit prägen.“ Da muß einem um die Zukunft ja nicht bange sein.

Bange werden könnte jedoch der Branche, auch wenn ihr Messe-Geschäftsführer Juergen Boos einen „neuen Sportsgeist“ attestiert. Der stationäre Buchhandel verzeichnet in diesem Jahr bislang einen Einbruch von fast fünf Prozent. Düstere Prognosen sprechen davon, daß die Zahl der derzeit 7.500 Buchhandlungen sich bis 2016 halbieren könnte. Der Handel verlagert sich mehr und mehr zu Großanbietern ins Internet, was auf die Margen der Verlage drückt.

Der Umsatz mit E-Books wächst auf noch niedrigem Niveau rasant, doch stecken die Geschäftsmodelle bislang in den Kinderschuhen. Hier bieten sich zwar neue Perspektiven etwa für die Vermarktung von Backlists, bei denen sich ein Nachdruck nicht lohnt, sowie für das Herangehen an Titel, bei denen bislang bestenfalls eine Kleinauflage mit hohem Risiko möglich schien.

Wie sich Verlage in Zukunft hinsichtlich ihrer Produkte und Vertriebswege erfolgreich aufstellen können, zeichnet sich aber noch nicht ab, und daher ist auch die Buchmesse bis auf weiteres gezwungen, Effekthascherei zu betreiben und Wortgeklingel als Zukunftsmusik auszugeben.

Nicht zu befürchten ist jedoch, was Kulturpessimisten an die Wand malen: Ein Sterben kleiner Verlage, die, oftmals aus reiner Liebhaberei ihrer Eigentümer betrieben, die unterschiedlichsten Nischen des Geisteslebens gediegen und niveauvoll besetzen, war auch auf der diesjährigen Buchmesse nicht zu beobachten. Gerade für sie hat das Internet neue Möglichkeiten geschaffen, von ihrem Publikum gefunden zu werden.

Die nächste Frankfurter Buchmesse findet vom 9. bis 13. Oktober 2013 statt. Gastland ist Brasilien.

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