© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Der Geist des Whiskys
Kino: „Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel“
Sebastian Hennig

Die Geschichte um vier verkommene Jugendliche steuert auf die Pointe zu, daß kriminelle Energie nur subtil transformiert werden muß, um in beruflichen Erfolg zu münden. Die Resozialisation gelingt hier durch Whisky und Vaterschaft. Letzten Endes wird sie aber bewirkt kraft der unbelehrbaren Zuversicht des Sozialarbeiters Harry. Die Figur ist vielleicht ein uneingestandenes Selbstporträt des Regisseurs Ken Loach.

Die Missionsarbeit des Whisky-Gläubigen hat Erfolg. Das Wasser des Lebens, „uisge-beatha“ auf gälisch, destilliert auch die besseren Instinkte der outlaws heraus. Harry entführt die zu Sozialarbeit verdonnerten Jugendlichen an einem Wochenende in eine kleine Destillerie in den Highlands. Die Kleptomanin im Quartett hat danach einige Proben weggefunden, an denen die Clique weiterkosten kann. Der Schläger Robbie qualifiziert sich dabei zur Kennerschaft. Als er von Harry anläßlich der Geburt seines Sohnes einen „Bringbank“ eingeschenkt bekommt, befindet er noch: „Schmeckt wie Scheiße.“ Bald aber weiß er den torfigen Abgang des schottischen Nationalgetränks zu schätzen.

Hauptdarsteller Paul Branni-gan, mit einer Schnittnarbe an der Wange, die von einer Flaschenscherbe stammen wird, stand zuvor nie vor der Kamera. Regisseur und Drehbuchautor spürten ihn bei einem Fußballprojekt zur Gewaltprävention in Glasgow auf. Inzwischen darf er bereits mit Scarlett Johansson drehen.

„Angels’ Share“ werden die zwei Prozent des Geistes genannt, die sich während der Herstellung einfach verflüchtigen. Die Bande plant, diese Engels-Teilhabe zu säkularisieren, indem sie einen Anteil vom Eine-Million-Pfund-Faß in ihre eigenen Flaschen rinnen läßt.

Der Film balanciert so unvorsichtig auf dem schmalen Grat zwischen Sozialdrama und klassischer Gaunerkomödie, daß er bisweilen in zwei Filme zerfällt. Aber beide Teile tragen die Zeichen der Meisterschaft eines erfahrenen Regisseurs. Beim Filmfestival in Cannes erhielt Ken Loachs „Angels’ Share“ den Preis der Jury zugesprochen. Die britische Filmzeitschrift Empire schrieb über das Werk des 76jährigen: „Wie guter Whisky wird Loach mit dem Alter sanfter und subtiler – auch wenn ein schneller Schluck einen immer noch ganz schön umhauen kann.“ Umhauen tut einen dieses Märchen nicht, aber es lohnt sich anzusehen. Am besten freilich im Original mit Untertiteln; die deutsche Vertonung ist nicht immer paßgenau zum visuellen Geschehen.

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