© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Gekommen, um zu bleiben
Asylrecht: Die aktuellen Bewerberzahlen belegen die Schwächen im deutschen System
Michael Paulwitz

Knapp zwanzig Jahre nach dem „Asylkompromiß“ von 1992 steht Deutschland vor einer neuen Asyldebatte. Anlaß ist der seit Sommer registrierte sprunghafte Anstieg von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien – nahezu ausschließlich Zigeuner, die oft in ganzen Sippenverbänden visafrei einreisen, um ihr Einkommen schlagartig zu verbessern. Der Ansturm offenbart, wie löchrig und mißbrauchsanfällig das von vielen Seiten in die Zange genommene deutsche Asylrecht nach seiner mühseligen Reparatur vor zwei Jahrzehnten längst wieder geworden ist.

Die Zahlen sind eindeutig: 2.435 Staatsbürger aus Serbien und Mazedonien stellten im September 2012 36 Prozent aller Erstanträge, nach 1.116 im August und 539 im Juli. Im August 2011 dagegen waren aus den beiden Balkanländern lediglich 170 und im Januar 2010 gar nur 78 Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Die schon im Dezember 2009 mit Serbien und Mazedonien vereinbarte Visafreiheit macht die Einreise zum Kinderspiel; unmittelbarer Auslöser der aktuellen Zuzugswelle war aber offensichtlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli, das Asylbewerber faktisch mit einheimischen Sozialhilfeempfängern gleichgestellt hatte – eine Frohbotschaft, die sich in den Roma-Ghettos der Balkanhalbinsel offensichtlich in Windeseile herumgesprochen hat.

Daß Menschen, die aus EU-Beitrittsaspirantenländern barrierefrei einreisen, nicht „politisch verfolgt“ sind, sondern glasklare Wirtschaftsflüchtlinge, liegt auf der Hand; die Anerkennungsquote liegt entsprechend bei Null. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nennt diesen dreisten Mißbrauch erfreulich offen beim Namen, ermutigt durch gleichlautende Beschwerden aus Österreich, Luxemburg, den Niederlanden, Frankreich und Belgien. Wie diese verlangt Friedrich von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström die „schnellstmögliche“ Aussetzung der EU-Visafreiheit mit Serbien und Mazedonien. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann fordert 48-Stunden-Verfahren zur rascheren Abweisung offenkundig unberechtigter Bewerber; in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, aber auch der Schweiz hat man damit den Druck spürbar vermindert. Und: Es soll wieder mehr Sach- statt Barleistungen geben, um die Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge zu senken, die dem Lockruf des Geldes folgen.

Der Aufschrei der üblichen Verdächtigen der Asyl- und Einwanderungslobby war vorhersehbar. Eine sachliche Diskussion sei kaum noch möglich, „ohne daß sofort massive persönliche Vorwürfe erhoben werden“, kritisiert der CDU-Innenpolitiker und Ausschußvorsitzende Wolfgang Bosbach. Die „Rassismus“-Keule wird eifrig geschwungen, mit durchaus widersprüchlichen Begründungen: Die unvermeidliche Ulla Jelpke von der Linkspartei beklagt, „wie 1992“ würden „antiziganistische Ressentiments“ bedient, während „Pro Asyl“ und zwei Dutzend Roma-Verbände monieren, man verschweige, daß es sich bei den Antragstellern vor allem um in ihren Heimatländern „diskriminierte“ Zigeuner handele. Alle zusammen mahnen scheinheilig zur Gelassenheit; es gehe ja nur „um einige hundert Menschen“, rechnet „Pro Asyl“-Geschäftsführer Günter Burkhardt dreist herunter.

Der beschwichtigende Hinweis, die Lage sei lange nicht so dramatisch wie 1992 mit zuletzt über 400.000 Asylanträgen jährlich, lenkt vom seit Jahren kontinuierlichen Anstieg der Asylzahlen ab. 19.164 Asylbewerber meldeten sich 2007, fünf Jahre später dürfte sich die Zahl heuer verdreifachen. Weitere Wellen kündigen sich an: Der „arabische Frühling“ in Nord- afrika ist noch nicht ausgestanden, der Exodus der Christen aus Syrien steht vor der Tür; die Türkei fordert bereits Asyl in der EU für von Ankara aufgenommene syrische Flüchtlinge.

Die wiederaufgeflammte Asyldebatte wirft ein grelles Schlaglicht auf die fortschreitende Unterminierung der letzten Mißbrauchsbarrieren im deutschen Asylrecht durch eine gut vernetzte Lobby. Praktisch seit seinem Zustandekommen 1992 wird der „Asylkompromiß“ von unten – durch Verwaltung und Justiz – und von oben – durch EU-Richtlinien – in die Zange genommen. Rechtlich gebotene Abschiebungen unterbleiben, weil sie gar nicht mehr angeordnet oder von Asyl-Lobbyisten in Richterrobe mit abenteuerlichen Begründungen untersagt werden, die die Drittstaatenregel ad absurdum führen; die von Bosbach kritisierten „Wintererlasse“ einiger Bundesländer, die in den kalten Monaten generell keine Abschiebungen durchführen, sind geradezu eine Einladung zum Betrug, weil sie auch ohne jede Asylberechtigung mehrmonatigen Bezug von Sozialleistungen verheißen. Zugleich werden auf EU-Ebene schrittweise die Arbeitsaufnahmeverbote für Asylbewerber demontiert, um das Asylrecht zum Instrument der Arbeitsmigration umzufunktionieren.

Unterdessen wächst in den überforderten Kommunen der Unmut wegen überfüllter Unterkünfte, die das Zusammenleben belasten und oft genug zu Brutstätten von Kriminalität und Drogenhandel werden. Wer in dieser Situation mit Déjà-vu-Argumenten aus den Neunzigern jede wirksame Bekämpfung des Mißbrauchs verhindern will und für die realen Sorgen der Bürger nur vorgestanzte Toleranzappelle übrig hat, wartet offenkundig auf ein neues Rostock-Lichtenhagen, um das Land wieder mit Lichterketten überziehen zu können.

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