© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

„Wir sind kein Sicherheitsrisiko“
NSU-Ausschuß: Abgeordnete wehren sich gegen Vorwürfe, sie gingen leichtfertig mit Informationen um
Marcus Schmidt

Die Spitzenkandidatin der Grünen in Niedersachsen, Anja Piel, hat eine klare Meinung zum Verfassungsschutz. „Diesen Scheißhaufen in den Ämtern“ dürfe man so nicht sitzen lassen, gab sie vor zwei Wochen als Ziel aus. Auch wenn sich Piel wenig später für ihre Wortwahl entschuldigen mußte, belegt die Äußerung den wachsenden Druck auf die Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern. Mit jeder neuen V-Mann-Affäre oder Aktenvernichtung im Zusammenhang mit der sogenannten Zwickauer Terrorzelle werden die Forderungen nach einer grundlegenden Reform der Sicherheitsarchitektur lauter.

Entsprechend schlecht ist die Stimmung unter den Verfassungsschützern. „Das Eindreschen auf den Verfassungsschutz geht einem ganz schön an die Nieren“, bekannte die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, vergangene Woche auf einer Fachtagung der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin. Noch deutlicher wurde Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU): „Früher durften die Mitarbeiter nicht sagen, daß sie für den Verfassungsschutz arbeiten, heute trauen sie sich nicht.“

Dabei zweifelt angesichts der zahlreichen Pannen, die bei den Ermittlungen zum NSU ans Licht kommen, niemand mehr an der Notwendigkeit, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden grundlegend zu überdenken. Ein besonders irrwitziges Beispiel für eine Panne präsentierte in der vergangenen Woche der Obmann der Unionsfraktion im NSU-Untersuchungsausschuß, Clemens Binninger (CDU): Nach dem Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 stellte die Polizei das Video einer Überwachungskamera, auf dem die mutmaßlichen Täter zu sehen waren (wie man heute weiß Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt), auf ihre Internetseite. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes klickten das Video zu Recherchezwecken so oft an, daß sie plötzlich Besuch von der Polizei bekamen. Diese interessierte sich dafür, wer sich denn das Fahndungsvideo so verdächtig oft anschaut. Auf die Idee, den Verfassungsschutz mit einer DVD des Videos zu versorgen, war bei der Polizei offenbar niemand gekommen.

Wie dünnhäutig alle Beteiligten mittlerweile reagieren, zeigte sich in der vergangenen Woche auch am Auftritt des langjährigen Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Klaus-Dieter Fritsche (CSU), vor dem Ausschuß. Als Fritsche, der jetzt als Staatssekretär im Innenministerium dort für die NSU-Aufklärung zuständig ist, zu Beginn seiner Zeugenbefragung unter anderem ausführte, warum es nötig sein könne, dem Ausschuß vertrauliche Unterlagen der Sicherheitsbehörden gar nicht oder nur in geschwärzter Fassung vorzulegen, sorgte er für einen Eklat. Denn der Subtext war jedem sofort klar: Die Behörden befürchten, daß sensible Informationen durch den Ausschuß an die Öffentlichkeit „durchgestochen“ werden könnten. Der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) unterbrach erbost die Sitzung. Auch wenn Fritsche später beteuerte, seine Warnung habe sich auf Medienvertreter bezogen, hatten sich die Mitglieder des Ausschusses direkt angesprochen gefühlt. Und dafür hatten sie gute Gründe.

Denn erst am Tag vor der Ausschußsitzung am Donnerstag vergangener Woche hatte es ein Krisentreffen zwischen den Obleuten und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegeben. Anlaß waren angebliche Äußerungen des neuen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, durch die der Ausschuß nach Ansicht der Abgeordneten in die Nähe eines Informationslecks gerückt worden sei. Im Zusammenhang mit der aus Sicherheitskreisen kritisierten Weitergabe ungeschwärzter Akten aus Thüringen an den Berliner Ausschuß wurden Befürchtungen kolportiert, Klarnamen von V-Leuten könnten aufgedeckt werden. Die Berichterstattung gipfelte in den Schlagzeilen, daß der Verfassungsschutz keine V-Leute mehr anwerben könnte.

Die Ausschußmitglieder vermuteten hinter diesen offenbar durch ein Hintergrundgespräch Maaßens mit Journalisten gestreuten Verdächtigungen einen bewußten „Gegenschlag“ des Innenministeriums. Denn, so die einhellige Meinung, der Vorstoß des Verfassungsschützers sei nicht ohne Billigung Friedrichs erfolgt. Wahrscheinlich habe der Ausschuß das Ministerium und das BfV in den vergangenen Monaten durch kritische Fragen allzuoft in Verlegenheit gebracht, heißt es aus dem Gremium. Die Obfrau der SPD, Eva Högl, sprach denn auch von einer gezielten Desavouierung des Unterschungsausschusses. „Wir sind kein Sicherheitsrisiko“, wehrte sie sich stellvertretend für die zehn anderen Abgeordneten.

Die betreffenden Akten aus Thüringen, dem „Stammland“ des Terrortrios, dürften auf jeden Fall auch so noch genügend Zündstoff enthalten. So erwartet der Ausschuß unter anderem endlich Aufklärung darüber, ob Beate Zschäpe Kontakt zum Verfassungsschutz hatte. FDP-Obmann Hartfrid Wolff war im Juli bei der Durchsicht von Akten des BfV auf mögliche Hinweise gestoßen und hatte diese öffentlich gemacht. Die anderen Obleute hatte Wolff umgehend zurückgepfiffen. Damals hieß es, man müsse zunächst die Akten aus Thüringen abwarten.

Fritsche selbst sah sich vor dem Ausschuß besonders in zwei Fällen mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Die Abgeordneten hielten ihm vor, daß er im Dezember 2003 nach der Vereitelung eines geplanten Sprengstoffanschlages von Rechtsextremisten auf das jüdische Gemeindezentrum in München, die Frage, ob Deutschland eine „braune RAF“ drohe, ausgerechnet mit Verweis auf die damals bereits seit fünf Jahren untergetauchten „Bombenbauer aus Thüringen“, also Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe verneint habe. Fritsches Argumente damals: Anders als die RAF hätten die drei kein Unterstützerumfeld und zudem offenbar seit ihrem Untertauchen noch keine Straftat begangen – ein fataler Irrtum. Denn laut der Ermittler hatte das Trio zu diesem Zeitpunkt bereits vier Menschen ermordet.

Auch bei der Frage nach Aktenvernichtungen im BfV konnte Fritsche keine befriedigenden Antworten liefern. Etwa, warum erst am 4. Juli dieses Jahres ein genereller Vernichtungsstopp für relevante Akten verhängt wurde. Zur Erinnerung: Im Sommer war bekanntgeworden, daß noch am 11. November 2011, also nachdem der NSU aufgeflogen war, im BfV Akten vernichtet wurden. Der von Friedrich zur Aufklärung der Schredder-Aktion eingesetzte Sonderermittler Hans-Georg Engelke kommt in einem geheimen Bericht nun sogar zu dem Ergebnis, daß weitere 284 Akten vernichtet wurden und damit erheblich mehr als bisher bekannt. Die Bewertung Engelkes in einer Zusammenfassung seines Berichts, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, daß allerdings „in den weitaus meisten Fällen“ eine Verbindung dieser Akten zum NSU ausgeschlossen werden könne, nannte SPD-Frau Högl „verdammt mutig“.

Angesichts dieser neuerlichen Ungereimtheiten im BfV sehen manche die sich abzeichnende Reform der Geheimdienste mit Unbehagen. Denn derzeit läuft alles auf eine Stärkung des Bundesamtes hinaus. Die Länder jedenfalls sind mit einer sogenannten Zentralstellenfunktion der Kölner Behörde einverstanden, versicherte Niedersachsens Innenminister Schünemann. Damit dürfte auch klar sein, daß sich der in deftigen Worten vorgetragene Wunsch der Grünen-Politikerin Piel so schnell nicht erfüllen wird.

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