© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Warten auf den Präventivschlag
Irans Atomprogramm, Israel und der Westen: Gegenseitige Drohgebärden verdecken die tatsächlichen Auswirkungen nuklearer Aufrüstung in Nahost
Thorsten Brückner

Das zionistische Regime ist eine korrupte, antimenschliche Minderheit, die gegen alle göttlichen Werte steht. Die Existenz dieses Regimes in Frage zu stellen schützt die Rechte und Würde aller Menschen“, sagte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad beim „al-Quds-Tag“ im August an der Teheraner Universität. Es sind solche Worte, die in der westlichen Welt und in Israel vor dem Hintergrund des iranischen Atomprogramms die Alarmglocken schrillen lassen. Die Emotionen kochen hoch, und die Diskussion um einen Präventivschlag gegen den „Irren von Teheran“ (Bild) ebbt nicht ab.

Alle Zeichen sprechen in der Tat dafür, daß die Islamische Republik wenn auch nicht an einer Atombombe, so doch an der atomaren Option arbeitet, also der Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit zur Atommacht aufzusteigen.

Gerade die unterirdische Urananreicherungsanlage in Fordo bei Qom, die der Iran der Internationalen Atomenergiebehörde bis 2009 verheimlichte, hat hier wohl letzte Zweifel beseitigt. Bereits zuvor hatte der Iran bis 2001 internationalen Inspekteuren die Existenz der Anreicherungsanlage in Natanz und des Schwerwasserreaktors in Arak verschwiegen.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) wurde dabei von iranischen Offiziellen systematisch über den Stand des Programms getäuscht, wie der Chef der iranischen Atomenergiebehörde Fereydoun Abbasi im September freimütig zugab. Zwar erlaubt der Atomwaffensperrvertrag, den Iran unterzeichnet hat, Staaten prinzipiell die zivile Nutzung von Atomenergie. Laut Atomwaffensperrvertrag ist hierfür jedoch volle Transparenz zwischen einem Land und der IAEA notwendig.

Eine iranische Bombe würde in erster Linie der Abschreckung dienen. Dies unterstreicht auch der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld, der gegenüber der JF erklärte: „Seit 1945 hat kein Land eine Kernwaffe benutzt um damit anzugreifen.“ Das Land, das den Einmarsch Saddam Husseins 1980 verkraften mußte und nach dem Irakkrieg 2003 im Glauben gelassen wurde, als Teil der „Achse des Bösen“ als nächstes an der Reihe zu sein im amerikanischen Bestreben, einen neuen Nahen Osten durch Regimewechsel herbeizuführen, möchte sich damit gegen Aggressionen von außen absichern.

Gleichzeitig kann nicht geleugnet werden, daß der Iran mit der Bombe seine regionale Vormachtstellung in der Golfregion und im gesamten Nahen Osten weiter zementieren möchte. Mit ein Grund, warum nun Ägypten und Saudi-Arabien laut über die Reaktivierung beziehungsweise die Erstaufnahme eines Atomprogramms nachdenken.

In seiner Rede vor den Vereinten Nationen im September ging Israels Premier Benjamin Netanjahu auf dieses Problem ein: „Nichts könnte unsere gemeinsame Zukunft mehr gefährden als eine atomare Bewaffnung Irans.“

Eine iranische Bombe würde nicht zu einem Gleichgewicht des Schreckens führen, sondern zu einem multipolaren Ungleichgewicht nuklearer Unsicherheit sowie dem Ende des Atomwaffensperrvertrags, der zur Bedeutungslosigkeit verkommen würde. Israel und Iran würden nicht die einzigen Länder mit Atomwaffen in der Region bleiben – entsprechende Verlautbarungen aus Kairo und Riad werden in Jerusalem mit Aufmerksamkeit verfolgt.

Israels Sicherheitsdoktrin steht auf zwei Säulen – der konventionellen und der atomaren Verteidigung. Aufgrund seiner geringen Population und seiner eingeschränkten Größe – ein Problem, das nach einer früher oder später unvermeidlichen Gebietsrückgabe an die Palästinenser zusätzlich verschärft werden würde – sieht sich Israel gezwungen, einen Krieg schnellstmöglich auf gegnerisches Territorium zu tragen und am besten präventiv zu handeln, um dem Gegner erst gar nicht die Möglichkeit zu geben, Feindseligkeiten zu eröffnen. Gelingt das wie im Jom-Kippur Krieg 1973 nicht, benötigt Israel um seine Existenz zu verteidigen die atomare Option. Gerade im Krieg von 1973 hätte Israel, wären syrische Truppen über den Golan hinaus auf Haifa und die Küstenebene vorgerückt, ohne Zweifel von dieser Option Gebrauch gemacht.

Nach dem Sturz Mubaraks 2010/11 und der schleichenden Islamisierung Ägyptens häufen sich nun in letzter Zeit Grenzzwischenfälle mit Israel. Zwar steht eine Aufkündigung des Camp-David-Friedensvertrags derzeit nicht zur Debatte. Dennoch fürchtet Israel, daß die Ägypter bei einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen den Sinai in der Zukunft wieder als Truppenaufmarschgebiet nutzen und Israels Hafenstadt Eilat vom Roten Meer abschneiden. Sähe sich Ägypten, gedrängt von den iranischen Ambitionen dazu veranlaßt, seinerseits ein Atomwaffenprogramm zu beginnen, könnte Israel im Falle eines ägyptischen Angriffs über den Gaza-Streifen, der nur etwa 60 Kilometer von Tel Aviv entfernt ist, nicht mehr atomar antworten.

Israel glaubt, eine iranische Atombombe aus eben diesen Gründen nicht akzeptieren zu können. Nicht weil Israels Existenz dadurch direkt bedroht wäre, sondern das Kräftegleichgewicht in der Region zuungunsten Israels verschoben und die nukleare Säule israelischer Verteidigung im Ernstfall nicht mehr gegeben wäre.

Der neueste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde weist jedoch darauf hin, daß Iran 50 von insgesamt 65 Kilogramm des in den letzten acht Monaten in Fordo auf 20 Prozent angereicherten Urans in Metallplatten konvertiert hat – ein Prozeß der schwer rückgängig zu machen ist.

Für die gegenwärtige Diskussion ist derzeit vor allem das auf 20 Prozent angereicherte Uran bedeutsam. Während bis fünf Prozent angereichertes Uran in einem langwierigen Prozeß atomwaffenfähig gemacht werden muß, kann man 20prozentiges Uran innerhalb weniger Wochen zu über 90prozentigem Uran anreichern – der Substanz, die man für den Kern einer Atombombe benötigt.

Das einmal in Metallplatten konvertierte Uran ist nur noch für wissenschaftliche Zwecke, nicht mehr jedoch für eine Atombombe brauchbar. Dabei handelt es sich um die Hälfte von Irans Gesamtproduktion. Auch Israels Premierminister Netanjahu hat bei seiner jüngsten Rede vor den Vereinten Nationen, ohne freilich den Grund zu nennen, seine persönliche Grenze für den spätesten Zeitpunkt eines Militärschlags von Ende 2012 auf Mitte 2013 verschoben.

Für eine israelische oder amerikanische Militäraktion ist die Wahl des richtigen Zeitpunkts entscheidend. Experten wie der frühere israelische General Itzik Ben Israel weisen darauf hin, daß man bei einem zu frühzeitigen Bombardement der Produktionsstätten Iran möglicherweise erst dazu animieren könnte, den entscheidenden Schritt zu gehen und 20prozentiges Uran höher anzureichern. Auch in Washington sieht man das Atomprogramm Irans als eine Gefährdung der regionalen Stabilität an und wäre im Ernstfall bereit, militärisch dagegen vorzugehen.

Ihr Ziel haben die USA und Israel bereits klar definiert: Der Iran darf, erstens um den Atomwaffensperrvertrag am Leben zu erhalten und nukleare Proliferation einzuschränken und zweitens um die Stabilität und das Kräftegleichgewicht in der Region nicht zu gefährden, unter keinen Umständen Atommacht werden.

Israel allein wird das Problem allen geheimdienstlichen Erkenntnissen zufolge nicht lösen können und ist daher auf die Hilfe der USA angewiesen. Gerade die unterirdische Produktionsstätte in Fordo, wo ein Großteil des 20prozentigen Urans angereichert wird, ist außerhalb der Reichweite israelischer Kapazitäten.

Zuvor müßten sich die USA und Israel aber auf eine gemeinsame „rote Linie“ verständigen. Diese könnte bei einer bestimmten Kilozahl von auf 20 Prozent angereichertem Uran liegen. Etwa 225 Kilogramm werden für eine Atombombe benötigt. Der Vorrat des Irans ist dabei wegen der beschriebenen Konvertierung in Metallplatten in den letzten acht Monaten relativ stabil bei etwas über 90 Kilogramm geblieben.

Bei einer maximalen Produktionskapazität von 15 Kilogramm pro Monat müßte eine vernünftige rote Linie sicher bei etwa 200 Kilo gezogen werden. Eine zurückhaltendere Option wäre, komplett damit abzuwarten, bis Teheran Uran höher als 20 Prozent anzureichern beginnt.

Der Iran ist sich darüber im klaren, daß er mit dem Einsatz einer Atombombe angesichts des Nuklearwaffenarsenals Israels und der USA seine eigene Vernichtung fürchten müßte. Jeder Staat, der eine Atombombe zu Offensivzwecken einsetzt, würde darüber hinaus von der internationalen Staatengemeinschaft geächtet werden.

Die Folgen eines Angriffs auf die iranischen Atomanlagen wären laut Michael Eisenstadt und Michael Knights vom Washington Institute für Nahostpolitik begrenzt. Für Israel rechnet Verteidigungsminister Ehud Barak mit „weniger als 500 Toten“.

Die Hisbollah würde als enger Bündnispartner des Iran zwar mit begrenzten Raketenangriffen auf Nordisrael reagieren müssen. Aber auch sie scheut eine Eskalation mit Israel. Zu stark dürfte die Erinnerung an die schweren Verwüstungen im Südlibanon in Folge des Krieges von 2006 sein. Damals bedauerte Hisbollah-Chef Nasrallah, die israelische Reaktion im Vorfeld unterschätzt zu haben. „Israel kann zwar den Iran nicht zerstören“, so van Creveld, „aber Libanon können wir wohl zerstören.“

Der Iran selbst hätte zudem nur begrenzte Antwortmöglichkeiten und kann an einem großangelegten regionalen Krieg auch aufgrund innenpolitischer Bruchlinien nicht interessiert sein. Zudem sähen sich iranische Raketen dem sehr präzisen israelischen Raketenabwehrsystem Arrow ausgesetzt, das bei Tests bisher über 90 Prozent der Raketen abgefangen hat. Van Creveld gibt hier allerdings zu bedenken, daß das System „noch nie im Kampfeinsatz erprobt“ wurde.

Daß andere Länder in die Auseinandersetzung mit einbezogen würden, ist hochgradig unwahrscheinlich. „Syrien hat derzeit anderes am Leib“, so van Creveld. Andere arabische Staaten wie Ägypten oder Saudi-Arabien und die Staaten des Golf-Kooperationsrates werden für eine israelisch-amerikanische Aktion gar dankbar sein, fühlen sie sich doch am allermeisten von einer iranischen Bombe bedroht.

Dennis Ross, ehemaliger Nahostberater von US-Präsident Obama, sieht im Aufrechterhalten einer Drohkulisse den entscheidenden Faktor. Wie Ben Israel geht er davon aus, daß nur dadurch der Iran weiterhin davon abgehalten werden kann, die 20-Prozent-Schwelle bei der Urananreicherung zu überwinden, die das Land bisher allein aus Furcht vor einem dann unausweichlich erscheinenden Angriff nicht durchbrochen hat. Auch wenn Obama sich bisher nicht öffentlich auf rote Linien festgelegt hat, ist seine Position in der Iran-Frage doch eindeutig: „Ich verfolge keine Politik der Eindämmung. Ich verfolge eine Politik, den Iran von einer Atombombe abzuhalten, und zögere nicht Gewalt anzuwenden, wenn es notwendig ist.“

Das eigentliche Problem ist für van Creveld jedoch anderer Natur. Mit Blick auf eine mögliche Eskalation stellt er die Frage: „Wie kann man einen solchen Krieg zu Ende bringen?“

Foto: Israels Premier Netanjahu und Irans Präsident Ahmadinedschad bei den Vereinten Nationen: Publikumswirksamer Schlagabtausch

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