© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Auf nach Klein-Paris
Schwabing war gestern: Leipzig ist der neue deutsche Sehnsuchtsort für Künstler und Möchtegernkünstler
Robert Backhaus

Sogar ein Hamburger Magazin hat’s gemerkt: Leipzig ist die neueste Sehnsuchtsadresse vor allem für Künstler und Möchtegernkünstler jederlei Geschlechts und jederlei Herkunft. Alle möglichen Kreativbolzen „strömen“ neuerdings geradezu nach Leipzig, in die „Hauptstadt der Träumer“, wie der Spiegel diese Woche titelt, um dort ihr Quartier aufzuschlagen, Werke auszustellen und in neu eröffneten Kneipen schöpferisch zusammenzuhocken und den Weltgeist zu ventilieren. Schwabing war gestern, heute gilt Baumwollspinnerei Plagwitz oder Tapetenfabrik Lützner Straße, beide Leipzig.

Die autochthone Bevölkerung vernimmt’s mit Wohlgefallen, wenn auch leicht erstaunt. Zwar dichtete schon Goethe: „Mein Leipzig lob ich mir, es ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute“, doch bisher ballte sich, was Sachsen betrifft, die Kunst und ihre Boheme eher in der großen Kunststadt Dresden statt in Leipzig. Dieses lieferte, mit seinem kaufmännischen Reichtum, seinen vielen Messen (eben erst ist die zehntägige Lachmesse zu Ende gegangen) und Verlagen, lediglich den Treibstoff für das Treiben und begnügte sich im übrigen mit seinen seit Bach und Mendelssohn-Bartholdy ruhmreichen Konzerten und Kirchenmusiken.

Ob sich das jetzt ändert? War es vielleicht die „Neue Leipziger Malerschule“, die den Trend ausgelöst hat? Doch deren Heroen, die Heisig, Mattheuer, Tübke, sind inzwischen leider alle verstorben, und von ihren Nachfolgern hat wohl nur der spektakuläre Neo Rauch das Format, dauerhafte Kreise zu ziehen. Doch eine einzige Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer, auch keinen Künstlersommer.

Etwas anderes spricht indessen für Leipzig: Es ist, im Vergleich zu früheren Zeiten, ziemlich arm – und dabei nicht einmal sonderlich sexy, wie etwa (nach Auskunft von Klaus Wowereit) Berlin! Seine Mieten sind billig, billiger als in Berlin, von Paris und London zu schweigen. Und da die meisten Kreativbolzen auch nicht gerade mit Reichtum gesegnet sind, ziehen sie eben gern an die Pleiße. Wenigstens für einige Zeit.

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