© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Brigaden auf Betriebsausflug
Programmkino: „Sushi in Suhl“ mit Uwe Steimle
Ellen Kositza

Sushi in Suhl“ ist ein künstlerisch vielleicht nicht besonders wertvoller, jedoch rührender Film nach einer wahren Begebenheit: 1966 vernarrte sich der „Gastronomie-Ingenieur“ Rolf Anschütz in die Idee, seine durch handfeste thüringische Küche regional erfolgreiche Gaststätte „Waffenschmied“ japanisch aufzupeppen.

Tiefe Einblicke in die Kultur der Japaner verschaffte ihm das DDR-Buch „Die Sitten der Völker“. Anschütz sägte die Beine von Tischen und Stühlen ab, er wußte, daß dieses Volk spezielle Gewänder trägt, martialische Wandbehänge schätzt, ohne Gabel und Messer auskommt und Fisch bevorzugt. Lachs war rar in der DDR, Seetang und Sake kaum erhältlich und selbst der Reis knapp. Dem konnte abgeholfen werden, mit Ersatzprodukten wie rotgefärbtem Karpfen aus dem Teich nebenan, mit Spinatblättern und Milchreis.

Die HO, „volkseigene“ Handelsorganisation der DDR, beargwöhnte und schikanierte Anschütz’ Extrawurst zunächst – wenn es wenigstens chinesische Küche wäre! Aber ausgerechnet Japan, der kapitalistische Klassenfeind! Bald war der Andrang auf Sushi im verschlafenen Suhl gigantisch; die Warteliste für eine „japanische“ Speisung im „Waffenschmied“ betrug Jahre, ganze Brigaden standen für einen kulinarischen Betriebsausflug an, der Ruf wuchs sich international aus. Anschütz erweiterte sein Restaurant um eine „rituell japanische Badeanstalt“; einen vorsintflutlichen Whirlpool, in dem Männlein und Weiblein vor der Speisung sich einer geselligen Körperreinigung unterzogen.

Das alles brachte Devisen, deshalb wurde Anschütz’ „Waffenschmied“ bald großzügig unterstützt. Die Zutaten kamen aus Fernost, dem Wirt wurden Orden umgehängt, er durfte als Staatsgast ins Land seiner Träume reisen. Was fand er dort? Kaum Tradition, viel weniger, als es ihm „Die Sitten der Völker“ suggeriert hatten. Anschütz fand sich in dem Spruch, wonach die zahmen Vögel von der Freiheit nur singen, die wilden aber fliegen, auf seiten der Käfigsehnsüchtler wieder.

Im Film wird Rolf Anschütz dargestellt von dem ehemaligen Polizeiruf-110-Kommissar Uwe Steimle, der hier eine Spur zu trottelig agiert. In einem Interview fand Steimle die deutsch-japanische Anziehung nur logisch: Werte und Eigenschaften wie Warmherzigkeit, Aufrichtigkeit, Treue, Disziplin, Zuverlässigkeit, „Sein statt Schein“ stünden sowohl für deutsche als auch japanische Wesensart.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen