© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

„Vom Größenwahn besessen“
Sind Steuern nichts anderes als Schutzgeld? Der Staat eine Mafia? Die Demokratie Betrug? Der Philosoph Hans-Hermann Hoppe gilt nicht nur als einer der pro liertesten Vordenker der libertären Bewegung, sondern ist zudem vielleicht der schärfste westliche Systemkritiker.
Moritz Schwarz

Herr Professor Hoppe, in Ihrer Aufsatzsammlung „Wettbewerb der Gauner“ schreiben Sie, „99 Prozent der Bürger würden auf die Frage nach der Notwendigkeit des Staates mit Ja antworten“. Ich auch! Warum liege ich falsch?

Hoppe: Wir alle sind von Kind auf in staatlichen oder staatlich lizensierten Einrichtungen – Kindergärten, Schulen, Universitäten – geformt worden. Das zitierte Ergebnis ist also nicht überraschend. Aber: Wenn ich Sie frage, ob Sie auch ja zu einer Einrichtung sagen, die in allen Konfliktfällen einschließlich solcher, in die sie selbst verwickelt ist, das letzte Wort hat, so würden Sie dies sicher verneinen – es sei denn, Sie hofften, selbst Inhaber dieser Institution zu sein.

Äh ... richtig.

Hoppe: Natürlich, denn Sie wissen, daß eine derartige Einrichtung Konflikte nicht nur schlichten, sondern selbst verursachen kann, um sie dann zu ihren eigenen Gunsten zu entscheiden. Ich jedenfalls würde angesichts dessen um mein Leben und Eigentum fürchten. Doch genau dies: die letztrichterliche Entscheidungsgewalt, ist das Characteristicum specificum der Institution Staat.

Stimmt, aber der Staat beruht auf einem Gesellschaftsvertrag, der dem einzelnen andererseits auch Schutz und Entfaltungsspielraum gibt, den er ohne den Staat – im Kampf aller gegen alle – nicht hätte.

Hoppe: Nein, der Staat ist gerade nicht das Resultat eines Vertrages! Niemand, der auch nur einen Funken Verstand hat, würde einem derartigen Vertrag zustimmen. In meinen Akten gibt es viele Verträge, aber so einer findet sich nirgends. Der Staat ist das Resultat aggressiver Gewalt und Unterwerfung. Er ist ohne jede vertragliche Basis entstanden, genauso wie eine Bande von Schutzgelderpressern. Und was den Kampf aller gegen alle betrifft, so ist dies ein Mythos. Natürlich schützt ein Schutzgelderpresser seine Opfer auf „seinem“ Territorium vor anderen Erpressern, aber doch nur, um die eigenen Erpressereien um so erfolgreicher durchführen zu können. Darüber hinaus: Es sind Staaten, die allein im 20. Jahrhundert für mehrere hundert Millionen Tote und unermeßliche Zerstörung verantwortlich sind. Dagegen fallen die Opfer privater Kriminalität kaum ins Gewicht. Und glauben Sie im Ernst, daß es etwa zwischen den Bewohnern des Dreiländerecks bei Basel, die ja im Zustand der Anarchie miteinander leben, mehr Konflikte gibt als zwischen denen Dortmunds und Düsseldorfs, die Einwohner ein und desselben Staates sind? Mir ist davon nichts bekannt.

Warum ist die Demokratie nach Ihrer Ansicht nur ein „Wettbewerb der Gauner“?

Hoppe: Sämtliche Hochreligionen verbieten es, das Eigentum anderer zu begehren. Dieses Verbot ist die Basis friedlicher Kooperation. Im Gegensatz dazu darf in der Demokratie jeder jedes anderen Eigentum begehren und diesem Wunsch entsprechend auch handeln – vorausgesetzt nur, daß er Zugang in die Staatsgeschäfte findet. Unter demokratischen Bedingungen wird so jede Person zu einer potentiellen Bedrohung. Und bei Massenwahlen gibt es die Tendenz, daß die Mitglieder der Gesellschaft Eingang in die Staatsgeschäfte suchen und dort in die höchsten Posten aufsteigen, die keine moralischen Hemmungen haben, sich am Eigentum anderer zu vergreifen: gewohnheitsmäßige Amoralisten, die besonders talentiert darin sind aus vielfältigen hemmungslosen und sich gegenseitig ausschließenden Forderungen Mehrheiten zu bilden.

„Politiker: faul und Abzocker!“ Fürchten Sie nicht, daß man Ihnen vorwirft, Sie übten Schelte auf „Bild“-Zeitungs-Niveau?

Hoppe: Na und? Bis zum 20. Jahrhundert gab es kaum einen wichtigen politischen Denker, der sich nicht abfällig über die Demokratie geäußert hat. Stichwort: Pöbelherrschaft. Die populistische Kritik an der Demokratie, wie man sie in Bild oder am Stammtisch findet, ist gut und richtig. Nur: Sie ist nicht grundlegend und weitgehend genug – bisher hat Bild auch noch nicht um ein Interview nachgesucht. Natürlich sind Politiker Abzocker: Sie leben vom Geld, das sie anderen Personen unter Gewaltandrohung abgepreßt haben – man nennt es „Steuern“. Nur faul sind Politiker leider nicht. Es wäre schön, wenn sie nichts täten, als ihre Beute zu verprassen. Stattdessen sind sie von Größenwahn besessene Weltverbesserer, die ihren Opfern das Leben noch zusätzlich mit Tausenden von Gesetzen und Verordnungen schwermachen.

Demokratie ist nur eine mögliche Spielart von Staatlichkeit. Wäre Staat in einer anderen Form für Sie denn akzeptabler?

Hoppe: Im monarchischen Staat weiß jeder, wer Herrscher und wer Beherrschter ist, und darum gibt es entsprechend Widerstand gegenüber jedem Versuch, die Staatsmacht auszuweiten. Im demokratischen Staat verschwimmt dieser Gegensatz, und die Staatsgewalt kann deshalb um so leichter ausgebaut werde.

Moment: dafür gibt es Gerichte, Gesetze und die Verfassung, die den Staat – sowohl die Regierung wie das Parlament – einhegen und kontrollieren.

Hoppe: Auch bei der Mafia gibt es eine „Exekutive“, eine „Legislative“ und eine „Judikative.“ Sehen Sie sich daraufhin doch nochmal den Film „Der Pate“ an!

Anderer Einwand: Was ist mit den neuen Internet-Staatskritikern, wie Occupy oder den Piraten, die Transparenz und Teilhabe einfordern, ohne gleich Staat und Demokratie in toto zu verdammen?

Hoppe: Die Occupy-Bewegung besteht aus ökonomischen Ignoranten, die nicht begreifen, daß die mit Recht beklagten Sauereien der Banken nur möglich sind, weil es eine staatliche Zentralbank gibt, die als „Retter in letzter Not“ fungiert, und daß die gegenwärtige Finanzkrise darum keine Krise des Kapitalismus, sondern eine Krise des Etatismus ist. Und die Piraten sind mit der Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf dem besten Weg zu einer weiteren „Freibier-für-alle“-Partei. Sie haben ein Thema: Kritik an „intellektuellen Eigentumsrechten“ (IE), das ihnen zu großer Popularität verhelfen könnte – und die Feindschaft vor allem der Musik-, Film- und pharmazeutischen Industrie eintragen würde. Aber auch dabei sind sie ahnungslose Weicheier. Sie müßten nur googeln: Stephan Kinsella. Dann wüßten sie: IE hat nichts mit Eigentum zu tun, sondern mit staatlichen Privilegien. IE erlauben es dem „Erfinder“ (E) oder „Vormacher“ eines Produkts – eines Texts, Bilds, Lieds oder was immer –, allen anderen Personen das Nachmachen dieses Produkts zu verbieten oder gebührenpflichtig zu machen, auch wenn der Nachmacher (N) dabei ausschließlich sein Eigentum verwendet (und E nichts von dessen Eigentum wegnimmt). Dadurch wird E zum Mit-Eigentümer des Eigentums von N erhoben. Was zeigt: IE sind nicht Eigentum, sondern ganz im Gegenteil ein Angriff auf Eigentum und deshalb komplett illegitim.

Als Ausweg schildern Sie in „Der Wettbewerb der Gauner“ das Modell der „Privatrechtsgesellschaft“. Wie funktioniert die?

Hoppe: Der Grundgedanke ist einfach. Die Idee eines monopolistischen Eigentumsschützers und Rechtsbewahrers ist in sich widersprüchlich. Dieser Monopolist, ob König oder Kanzler, wird immer ein enteignender Eigentumsschützer und rechtsbrechender Rechtsbewahrer sein – der seine Handlungen als im „öffentlichen Interesse“ liegend verkauft. Um Eigentums- und Rechtsschutz zu gewähren muß es auch im Bereich des Rechtswesens freie Konkurrenz geben. Neben dem Staat müssen auch andere Institutionen Eigentums- und Rechtsschutzleistungen anbieten dürfen. Der Staat wird zu einem normalen, allen anderen Personen gleichgestellten Privatrechtssubjekt. Er kann keine Steuern mehr erheben oder einseitig Gesetze erlassen. Seine Bediensteten müssen sich so finanzieren wie alle anderen Personen: indem sie etwas von freiwilligen Kunden als preiswert Erachtetes herstellen und anbieten.

Kommt es dann nicht schnell zum Krieg unter diesen „Anbietern“?

Hoppe: Krieg, Aggression ist kostspielig. Staaten führen Kriege, weil sie die Kosten per Steuern auf unbeteiligte Dritte abwälzen können. Für frei finanzierte Unternehmen ist Krieg dagegen wirtschaftlicher Selbstmord. Als Privatrechtssubjekt muß auch der Staat, wie alle anderen Sicherheitsanbieter, seinen Kunden Verträge anbieten, die nur im zweiseitigen Einvernehmen änderbar sind, und die insbesondere regeln, was im Fall eines Konflikts zwischen ihm und seinen Kunden beziehungsweise den Kunden anderer, konkurrierender Sicherheitsanbieter geschieht. Und da gibt es nur eine allseits annehmbare Lösung: Bei derartigen Streitigkeiten entscheidet nicht mehr der Staat, sondern eine unabhängige dritte Partei: Schlichter und Richter, die ihrerseits im Wettbewerb miteinander stehen, deren wichtigste Empfehlung ihre Reputation als Rechtsbewahrer ist, und auch deren Handlungen und Urteile, wie die jeder anderen Person, bestritten werden und revisionsbedürftig sein können.

Wer soll so eine „dritte Partei“ sein? Und mit welchen Machtmitteln sollte sie die Interessen eines einzelnen Bürgers gegenüber seinem Vertragspartner – dem Privat-Staat, der ja viel mächtiger ist – durchsetzen?

Hoppe: Bei örtlichen Streitigkeiten, im Dorf oder einer Kleinstadt, werden dies voraussichtlich oft allseits respektierte „natürliche Aristokraten“ sein, ansonsten aber Schlichterorganisationen und Berufungsinstanzen, auf die sich Versicherer und Versicherte von vornherein vertraglich geeinigt haben. Wer sich dann nicht an die Urteile hält, ist nicht nur vertragsbrüchig, er wird in der Geschäftswelt zu einem Aussätzigen, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben will, und er ist unverzüglich alle Kunden los. Das ist keine Utopie. Das alles ist schon heute eine im internationalen – anarchischen – Geschäftsverkehr gängige Praxis. Und noch eine Rückfrage an Sie: Wie soll denn der einzelne Bürger seine Interessen gegenüber einem monopolistischen Steuer-Staat durchsetzen? Der ist doch noch viel mächtiger – und er hat immer das letzte Wort!

Verstehen Sie, wenn man gegenüber Ihrem Vorschlag dennoch skeptisch bleibt?

Hoppe: Natürlich, zumal die meisten Menschen noch nie von der Idee gehört, geschweige denn ernsthaft über sie nachgedacht haben. Kein Verständnis habe ich nur für diejenigen, die bei dieser Idee lauthals aufschreien und die Verdammung ihrer Vertreter fordern, ohne selbst die geringste Kenntnis von Ökonomie und politischer Philosophie zu besitzen.

Es ist kaum realistisch, daß sich eine Mehrheit der Bürger auf ein ihnen so unbekanntes Modell je einlassen wird. Was aber davon könnte man wenigstens teilweise übernehmen, um zumindest partielle Verbesserungen unseres bestehenden Systems zu erreichen, ohne gleich Staat und Demokratie ganz abzuschaffen?

Hoppe: Es gibt eine Zwischenlösung. Sie heißt Sezession und politische Dezentralisierung. Kleine Staaten müssen liberal sein, sonst laufen ihnen die produktiven Personen weg. Erstrebenswert ist darum eine Welt von Tausenden von Liechtensteins, Singapurs und Hongkongs. Dagegen ist eine europäische Zentralregierung – und noch mehr eine Weltregierung – mit einer „harmonisierten“ Steuer- und Regulierungspolitik die größte Gefahr für die Freiheit.

Auch dafür werden Sie wohl keine Mehrheiten finden. Wie werden sich folglich Staat und Demokratie weiterentwickeln? Wo werden wir schließlich „landen“?

Hoppe: Das westliche „Wohlfahrtsstaatsmodell“, der „Sozialismus leicht“, wird genauso zusammenbrechen wie der „klassische“ Sozialismus – ob in fünf, zehn oder erst 15 Jahren weiß ich natürlich nicht. Stichworte: Staatsbankrott, Hyperinflation, Währungsreform und gewalttätiger Verteilungskampf. Dann kommt es entweder zum Ruf nach dem „starken Mann“ oder – hoffentlich – zu einer massiven Sezessionsbewegung.

 

Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, gilt als einer der profiliertesten Vordenker der weltweiten libertären Bewegung. Er studierte Soziologie und Ökonomie und wanderte – geboren 1949 in Peine – 1985 in die USA aus, wo er an der Universität von Nevada in Las Vegas lehrte. Hoppe ist „Distinguished Fellow“ am Ludwig-von-Mises-Institut in Auburn/Alabama, Herausgeber des Journal of Libertarian Studies, Gründer der „Property and Freedom Society“ und Autor verschiedener Bücher. Seine provokante Studie „Demokratie. Der Gott, der keiner ist“ erreichte in den USA sieben Auflagen und wurde in zahlreiche Sprachen, auch ins Deutsche (Verlag Manuscriptum, 2003), übersetzt. Seine jüngste Veröffentlichung ist die als Broschüre erschienene Aufsatzsammlung: „Wettbewerb der Gauner: Über das Unwesen der Demokratie und den Ausweg in die Privatrechtsgesellschaft“ (Holzinger Verlag)

www.hanshoppe.com 

www.propertyandfreedom.org

Foto: Der Staat als Gangsterbande: „Politiker leben vom Geld, das sie anderen unter Gewaltandrohung abpressen – sie nennen es ’Steuern’.“

 

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