© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Wenn das Heute das Gestern überlagert
Geschichtspolitik: Die Einweihung des Zigeunermahnmals in Berlin steht im Schatten des Streits um den Zustrom von Roma und Sinti aus Serbien und Mazedonien
Henning Hoffgaard

Es ist der Tag, auf den Romani Rose so lange gewartet hat. Mit viel Prominenz wurde in der vergangenen Woche das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Zigeuner eingeweiht (JF 44/12). Einige wenige Überlebende sind gekommen und noch viel mehr Politiker. Sie alle gehen schnurstracks auf Rose zu. Man umarmt sich, man kennt sich. Gerade mit Oppositionspolitikern versteht sich der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma offenbar bestens. Für die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth nimmt sich der gut vernetzte Rose besonders viel Zeit. Schnell wird allerdings klar, hier soll es nicht nur um die Geschichte gehen. Der „vergessene Holocaust“, wie ihn ein ehemaliger KZ-Insasse nennt, wird schnell zur Nebensache.

Die Tagespolitik holt alle Beteiligten spätestens nach der Rede der Bundeskanzlerin ein. „Was ist mit den Abgeschobenen“, ruft ein empörter Zuhörer. Auch das seien Überlebende. „Die wollen auch in Deutschland bleiben.“ Angela Merkel reagiert wie immer in solchen das Protokoll sprengenden Situationen: Sie läßt sich nichts anmerken. „Darum geht es hier heute nicht“, sagt ein Mitarbeiter des Pressestabes und will so den Zwischenrufer offenbar beruhigen. Dabei besteht spätestens seit der Rede von Rose gar kein Zweifel, daß es genau darum an diesem Tag gehen soll: „Der Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt der Zentralratsvorsitzende. Auch heute nehme der gewalttätige „Antiziganismus“ gegen Sinti und Roma wieder zu.

Die Spitzen sind vor allem gegen Hans-Peter Friedrich (CSU) gerichtet. Seit Tagen macht der Innenminister gegen den Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien mobil. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die Asylsuchenden deutlich mehr Sozialleistungen zusprach, verzeichnet sein Ministerium wesentlich mehr Anträge. Die meisten stammen von Zigeunern. Um mehr als 1.000 Prozent stieg die Zahl ihren Anträge. Zuletzt meldete Baden-Württemberg allein für September 449 Asylbewerber aus den beiden Balkanstaaten. Im Vorjahresmonat waren es 58.

Für den Innenminister ist die Sache eindeutig: „Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll künftig eine abgesenkte Barleistung erhalten“, sagt Friedrich und fordert Schnellverfahren für Personen vom Balkan. Mehr als 99 Prozent würden am Ende sowieso abgelehnt. Eine Einwanderung in die Sozialsysteme müsse deswegen verhindert werden, stellte Friedrich klar. Für Rose sind solche Äußerungen unerträglich. „Das Thema Asylmißbrauch an einer Minderheit wie den Sinti und Roma abzuhandeln, halte ich für mehr als diskriminierend. Da betreibt man ein stückweit Hetze.“ Auch Schnellverfahren sind mit ihm nicht zu machen. Flankenschutz erhält er dabei von SPD, Grünen und Linkspartei. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, etwa forderte von Friedrich sogar eine Entschuldigung für dessen Äußerungen über die wachsende Zahl von Scheinasylanten. Die Bundesregierung solle eine „nationale Romastrategie“ entwickeln und die angebliche Ausgrenzung dieser Gruppe beseitigen. Zudem machten noch zuwenig Zigeuner in Deutschland Abitur, kritisierte Beck.

Das fehlende Abitur der nach Deutschland kommenden Zigeuner dürfte für die meisten Kommunen allerdings das geringste Problem sein. Besonders im Ruhrgebiet gehen den Städten und Gemeinden derzeit die Unterbringungsmöglichkeiten aus. Wo neue entstehen, formiert sich sofort Widerstand. Viele Anwohner haben Angst vor steigender Kriminalität und Verwahrlosung. Die Bürgermeister können wenig machen. Allenfalls ein paar Streifen zusätzlich könne die Polizei einrichten. Beruhigen läßt sich davon kaum jemand.

Daß der Asylansturm aus dem Balkan bald wieder abflaut, ist nicht zu erwarten. Die Bundesregierung geht im kommenden Jahr von einem Anstieg der Antragsteller auf über 9.000 im Monat aus. Damit würde Deutschland 2013 die höchsten Asylzahlen seit 1997 bekommen. Damals waren knapp 104.000 Anträge registriert worden. Viele Städte sind allerdings schon jetzt völlig überlastet.

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