© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Multiorganversagen
Wahlanalyse: Die CDU in Nordrhein-Westfalen leckt ihre Wunden
Ansgar Lange

Die CDU in Nordrhein-Westfalen liegt am Boden. Damit die Union deutschlandweit bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 eine Chance hat, wieder den Kanzler zu stellen, müssen die Christdemokraten an Rhein, Ruhr und Wupper so schnell wie möglich aus diesem historischen Tief heraus. Bescheidene „30 Prozent plus X“ hat der neue Landeschef Armin Laschet als Ziel vorgegeben. Gerade Volksparteien haben heute allen Grund, kleine Brötchen zu backen.

Nach der Landtagswahl im Mai dieses Jahres, die für die CDU mit 26,3 Prozent der Stimmen krachend verlorenging, gaben selbst Kreisvorsitzende zum besten, die Wahl sei nur wegen des Spitzenkandidaten Norbert Röttgen verlorengegangen. Allenfalls zuwenig Wirtschaftskompetenz habe noch eine Rolle gespielt. Und hierfür wurde natürlich auch der Pechvogel Röttgen haftbar gemacht, der dann ja bekanntlich auch sehr schnell von „Muttis Hof“ vertrieben wurde.

Die Vermutung liegt nahe, daß konservative Wähler, die Röttgen vielleicht nicht mögen, über den würdelosen Umgang mit dem früheren Energieminister empört waren. Und die Begeisterung für eine Landespartei, die gestern noch Hosianna gerufen hatte, wenn der smarte Rheinländer zugegen war, anderntags aber zum „Kreuziget ihn“ übergegangen ist, dürfte ebenfalls nicht sehr groß sein. Schon im Umgang mit dem 2010 abgewählten Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers hatten es die selbsternannten Bürgerlichen an dem nötigen menschlichen Anstand fehlen lassen.

Nach einer Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat die krachende Wahlniederlage in NRW mehrere Väter, sie trägt nicht nur das Antlitz eines Juristen aus Meckenheim. Ganz aus der Verantwortung entlassen darf man Röttgen aber nicht. Schließlich führte seine Weigerung, sich festzulegen, ob er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde, zu viel Verdruß bei den Wählern. Ein zaudernder Spitzenkandidat lähmt, er mobilisiert nicht. Zudem stand „Muttis Klügster“ für die allzu verkopften Themen, mit denen die CDU im Wahlkampf durchdringen wollte.

Der sogenannte „Schulfrieden“, der zwischen CDU sowie Rot-Grün abgeschlossen wurde, hat der Union nichts gebracht. Früher konnten die Wähler mobilisiert werden, indem bildungspolitisch klare Kante gezeigt wurde – gegen die Gesamtschule und für die Hauptschule. Die Christdemokraten in NRW konnten sich gerade noch aufraffen, sich für einen Bestandsschutz der Gymnasien auszusprechen. Hauptschulen haben sie abgeschrieben, die neue Sekundarschule könnte eine Art Gesamtschule „light“ werden. Die bildungspolitischen Leisetreter, die einen schulpolitischen Wandel durch Anbiederung betreiben, dürften diese Erkenntnis der KAS nicht gerne lesen.

Während eine schulpolitische Rolle rückwärts für die Christdemokraten ausgeschlossen ist, haben sie in Zukunft die Möglichkeit, ihr wirtschaftliches Profil zu schärfen. Im Wahlkampf beschimpften sie Hannelore Kraft zwar als Schuldenkönigin, doch eigene Sparvorschläge blieben Mangelware. Einer immer mehr verweichlichenden und verweiblichenden CDU sind Kita-Fragen, das kostenlose Schulmittagessen oder Ganztagsbetreuung heute ohnehin wichtiger als der Kampf um mehr Arbeitsplätze. Zumindest kam das Thema Wirtschaft im Wahlkampf so gut wie nicht vor. Die Quittung: 2005 lag die CDU bei diesem Thema in NRW zwölf Punkte vor der SPD, 2012 zwei Punkte dahinter.

Gleichzeitig werde die Partei, so die Analyse der Adenauerstiftung, auch nicht mehr als Interessenvertreterin der „kleinen Leute“ verstanden. Hierbei handelt es sich nicht nur um Arme, schließlich definieren sich 62 Prozent der Deutschen als zu dieser Gruppe zugehörig. Die „Volkspartei“ CDU spricht also nicht mehr die Sprache der Unternehmer, aber auch nicht der Arbeitnehmer. Dies könnte langfristig zu einem Problem werden. Im Mai entschieden sich 450.000 ehemalige CDU-Wähler für eine andere Partei; 110.000 blieben den Urnen fern. Besonders stark profitierte die SPD von dem Wechsel. 190.000 CDU-Wähler wechselten zu den Roten. Als die Schwarzen 2005 die Wahl gewonnen hatten, entschieden sich 290.000 Wähler, die im Jahr 2000 für die Sozialdemokraten gestimmt hatten, für einen Wechsel zur CDU.

Am Ende seiner Studie kommt der Leiter der Hauptabteilung „Politik und Beratung“ bei der KAS, Michael Borchard, zu dem wenig originellen Fazit, die CDU müsse sich wieder stärker als Volkspartei profilieren. Dazu empfiehlt er ihr, über ein neues Grundsatzprogramm nachzudenken. Für „die Imagebildung nach außen und die Selbstvergewisserung nach innen“ sei dieser Schritt unerläßlich. Die CDU wird sich für solche wohlfeilen Hinweise bedanken, die erfolgen, nachdem das Kind (CDU) bereits in den Brunnen (Wahlniederlage) gefallen ist.

Sie wird sich vielleicht eine moderne Politikberatung wünschen, die Handlungsempfehlungen im Vorfeld einer Wahl gibt. Viele Pragmatiker werden diese programmatischen Details ohnehin eher für Gedöns halten. Sie halten die Doppelspitze Karl-Josef Laumann (Fraktionschef) und Laschet (Parteichef) für schädlich. Daher könnte der rhetorisch wenig glanzvolle Westfale Laumann demnächst in den Bundestag entsorgt sein. Es wird spannend zu verfolgen sein, wie der frühere „Multikulti-Minister“ Laschet dann das gesamte Profil der Volkspartei CDU abdecken wird. Zu dem ja, wie das Konrad-Adenauer-Haus nicht müde wird hervorzuheben, auch das Christliche und Konservative dazugehören. Zur Zeit bereitet Laschet erst einmal eine Wirtschafts- und Industrietour vor, „um den Gesprächsfaden zu mittelständischen, familiengeführten und großen Unternehmen wieder zu intensivieren“. Laschet sollte hoffen, daß dieser Faden nicht längst gerissen ist.

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