© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Verwelkte Träume der Opposition
Parlamentswahl in der Ukraine: Vereint mit Kommunisten bleibt Janukowitsch der starke Mann am Dnjepr
Christian Rudolf

Julia Timoschenko hat die Wahl haushoch verloren. Jedenfalls im Spezialwahlkreis Nummer 631375 in der Katschanowsker Arbeitskolonie, dem auf einer geschlossenen Mülldeponie errichteten Gefängnis von Charkow. Von den 938 dort abgegebenen Stimmen entfielen auf ihre oppositionelle „Vaterlands“-Partei gerade einmal 24 Stimmen. Die Partei ihres Erzrivalen, die „Partei der Regionen“ von Präsident Wiktor Janukowitsch, sammelte dagegen 886 Stimmen ein. Mit der Beliebtheit der früheren Ministerpräsidentin unter ihren Mitgefangenen in der zweitgrößten Stadt der Ukraine ist es offenbar nicht weit her. Weil sie im Gefängnis nicht arbeitet, wie man hört. Als Zeichen des Protestes gegen die ihrer Ansicht nach gefälschten Wahlen trat sie am Montag medienwirksam in den Hungerstreik.

Im ukrainischen Landesdurchschnitt schnitten die beiden größten Oligarchenparteien in der Gunst der knapp 37 Millionen Wahlberechtigten allerdings weit weniger unterschiedlich ab. Nach Auszählung von 87,6 Prozent der Stimmen liegt der Abstand zwischen ihnen bei lediglich 7,5 Prozentpunkten, und das bei völlig ungleichen Chancen.

Klarer Sieger mit derzeit 31,8 Prozent sind erwartungsgemäß die regierenden Regionalen mit dem gebürtigen Russen Mikola Asarow an der Spitze. Der ehemalige Finanzminister, der im März 2010 Timoschenko im Amt des Premiers ablöste und die „orangene Revolution“ endgültig zu Geschichte machte, wird die Koalition mit den Kommunisten (KPU, 13,9 Prozent) wahrscheinlich fortsetzen können.

Präsident Janukowitsch hat da gut lachen. „Ich habe für Stabilität gestimmt“, sagte der starke Mann der Ukraine vielsagend bei der Stimmabgabe vergangenen Sonntag. Wobei gerade er weiß, daß nicht wichtig ist, wie gewählt wird, sondern wie gezählt wird. Nach den bisherigen Ergebnissen – das amtliche Endergebnis wird laut Informationen der Zentralen Wahlkomission erst am 11. November bekanntgegeben – konnten die oppositionellen Parteien nur einen Achtungserfolg verbuchen.

Den großen Umsturz hat es bei der Wahl nicht gegeben, aber kleinere Überraschungen. Die von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung orchestrierte, auf EU-Kurs gesetzte „Udar“ („Schlag“) des Boxweltmeisters Witalij Klitschko hat den Sprung in die Kiewer Werchowna Rada zwar geschafft – die Wahlkommission gab ihr 13,5 Prozent –, startete aber nicht so schlagkräftig durch wie erhofft. Für den eigentlichen Großkampf, die Präsidentenwahl 2015, kann Klitschko auf den Oppositionsrängen trainieren.

In den Westgebieten, die einst zur polnischen Republik gehörten, hat die ukrainische National- und die Freiheitsbewegung nach wie vor ihre Hochburgen: Ins Parlament zieht erstmals die rechtsgerichtete „Swoboda“ („Freiheit“) ein, galizische Nationalisten, die landesweit nur auf 9,6 Prozent kommen. Im Verwaltungsbezirk Lemberg wurde sie mit 37,6 Prozent gar stärkste Kraft noch vor Timoschenkos Wahlbündnis „Vaterland“, die wiederum in Iwano-Frankowsk nur knapp die 40-Prozent-Marke verfehlte. Janukowitschs „Regionale“ wiederum sahnten in den bevölkerungsstarken Industriegebieten des Ostens ab: im Donezker Gebiet sogar knapp zwei Drittel der Stimmen.

Am Montag nach der Wahl dominierten in Kiew gegenseitige Beschuldigungen und Wahlfälschungsvorwürfe. Und Verbitterung über das neue kombinierte Mehrheits- und Verhältniswahlrecht von 2011 – das seinerzeit vom „Vaterland“ mitbeschlossen wurde. Bei den Direktkandidaten nämlich liegen die Kandidaten der regierenden „Regionalen“ in Führung. Der rechnerische Sieg des oppositionellen Lagers nach Parteilisten kann durch die Unmöglichkeit, Überhangmandate zu bilden, nicht in eine Mehrheit im Parlament umgemünzt werden.

Foto: Wahlsieger Wiktor Janukowitsch: Schon vor der Wahl siegessicher

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen