© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Pankraz,
R. Guardini und die Weisheit der Pflanzen

Daß ein Buch von nicht einmal vierhundert Seiten, kein sogenannter Prachtband mit teuren Bildreproduktionen, sondern ein ganz gewöhnlicher Sammelband mit wissenschaftlichen Aufsätzen diverser Autoren, 160,45 Euro kostet, kommt gewiß nicht alle Tage vor. Es muß mit ihm eine besondere Bewandtnis haben, und es hat mit ihm eine besondere Bewandtnis.

Es ist in einem deutschen Verlag erschienen, doch in englischer Sprache geschrieben, und die Herausgeber weigern sich, das Opus in eine andere Sprache übersetzen zu lassen. Sein Titel: „Biocommunication of Plants“ (etwa „Wie Planzen miteinander und mit ihrer Umwelt kommunizieren“), herausgegeben von Günther Witzany und František Baluška, Springer-Verlag GmbH, Heidelberg und Berlin 2012, 386 Seiten – und, wie gesagt, 160,45 Euro und keinen Cent weniger.

Seine Spezialität, die den Preis – findet Pankraz – ohne weiteres rechtfertigt, besteht in der Sensation seiner Mitteilungen und in der Nüchternheit der Sprache, mit der die Sensationen mitgeteilt werden. Es ist etwa so, als würde die Marslandung des Menschen von den Medien nur mit einer beiläufigen Fußnote quittiert oder als würde Bachs Matthäuspassion von einer Straßendrehorgel teilnahmslos heruntergeleiert. Der Leser hat zunächst einige Mühe, sich zurechtzufinden.

Super-Nüchternheit und stilistische Beiläufigkeit sind aber durchaus beabsichtigt; die Beiträger wollen jeden Ton von Romantik und Gärtner-Begeisterung von vornherein ausschließen, wollen nur die nackten, die allernacktesten Tatsachen sprechen lassen. Denn das Feld, das sie bestellen, also die „Beseeltheit“ beziehungsweise „Intelligenz“ der Pflanzen, ist vollgestellt mit vorschnellen oder unvollständigen „Beweisführungen“; die überall zu registrierende Gartenlust „will“ eben einfach, daß die von ihr so geliebten Pflanzen beseelt und vernunftbegabt sind, und so drückt man beim Forschen gern ein Auge zu.

Noch für das bisher als seriöse Hauptauskunftei in Sachen Pflanzen-Intelligenz geltende Buch, Cleve Backsters „Die Gefühle des Drachenbaums“, galt das. Es war zu aufdringlich als wüster Krimi angelegt: Der gelernte Geheimdienstler Backster schloß da seine Lieblingspflanze an den Lügendetektor an (?) und „entlarvte“ sie schließlich als raffinierte Intelligenzbestie. Nicht zuletzt um sich von solcher Sensationsrhetorik abzugrenzen, verharren die Autoren von „Biocommunication“ in unverbrüchlicher Nüchternheit – und schaffen just dadurch die eigentliche Sensation.

Was sie mitzuteilen haben, steht gewissermaßen für sich selbst, ist nicht zu widerlegen und Sensation genug. Pflanzen, so erfährt man, sind ganz überwiegend seßhafte Organismen, durch ihr Wurzelgeflecht direkt mit der Erde verbunden. Sie bemühen sich mit höchster Präzision um die Erschließung und Nutzbarmachung von Umweltressourcen. Sie können zwischen Selbst und Nichtselbst genau unterscheiden, verteidigen ihr Territorium und ihre leibliche Unversehrtheit mit äußerster Raffinesse und warnen auch ihre Nachbarn vor herannahenden Feinden.

Theodor Fechner, der Vorkämpfer für eine Theorie der Pflanzenbeseeltheit im neunzehnten Jahrhundert, hatte noch dekrediert, daß Pflanzen lediglich über „momentanes Fühlen“ verfügten, sie könnten sich weder erinnern noch in die Zukunft hinausplanen. Schon Backster hat dem lebhaft widersprochen, und jetzt in der „Biocommunication“ erfährt man definitiv, daß das Sicherinnern und Zukunftsplanen geradezu das Zentrum eines Pflanzenlebens bildet. Pflanzliche Abwehrstrategien gegen tierische Freßfeinde werden oft in kürzester Frist ausgebildet, vor allem wenn eine Freßattacke den Bestand der Gattung bedroht.

Andererseits gibt es fast noch mehr „positive“ Strategien, kraft derer die Pflanzen mit Tier und Mensch „zusammenarbeiten“, um Überleben und Gedeihen zu sichern und sich ungeniert auszubreiten. Die ganze Farbenpracht der Blumen gehört hierher, die Süßigkeit und Auffälligkeit der Früchte, des Nektars und der Verführungsdüfte. Ob es nun auf Zucker versessene Hummeln sind oder nußbegierige Eichhörnchen oder nur der Wind, der über die Halme streicht – sie alle werden als Besamungstechniker oder Samenausstreuer eingespannt, und zwar mit einer hinterhältigen Schlauheit, die einem schier den Atem verschlägt.

Pflanzen planen und erinnern, täuschen und lügen – und dabei haben sie doch kein Gehirn, das all dieses angeblich erst möglich macht! Sie verfügen statt dessen, wie man in „Biocommunication“ erfährt, über ein „dezentrales Nervensystem und können damit gleichzeitig mit unterschiedlichsten symbiotischen Partnern (Pilzen, Bakterien, Insekten) kommunizieren, sich verständigen und verabreden“. Dieselben Leistungen also, die bei uns und den Tieren das Gehirn vollführt, werden bei den Pflanzen von ganz anderen materiellen Aufbauten begleitet.

Werden sie aber auch von ihnen „verursacht“? Darüber schweigt das Buch aus dem wissenschaftlichen Springer-Verlag wohlweislich, weil es eben nur harte Fakten ohne jede rhetorische Zutat bietet. Fest steht für die Witzany und Baluška nur, daß die geistigen Leistungen, Planen, Sicherinnern, Täuschen, Sichverabreden, hüben wie drüben identisch sind. Sie waren zuerst da und sind gleichsam unvergänglich; nur die materiellen Unterlagen, die sie offenbar brauchen, um sich hier auf Erden zu „verwirklichen“, sind vergänglich, nachträglich und dem Zufall überlassen.

Zweifellos ist das eine sehr wichtige, tiefsinnige Einsicht, die uns da durch das Studium der pflanzlichen Biokommunikation nahegebracht wird, eine Einsicht zudem, die 160,45 Euro allemal wert ist. Daß sie uns durch das Studium der Pflanzen vermittelt wird, macht sie besonders nachhaltig. Denn die Pflanze, wußte schon der treffliche Romano Guardini, „kann nur wachsen, wenn ihre Wurzeln im Dunkeln sitzen. Nur aus dem Dunkel heraus kann sie ins Helle wachsen. Das ist die Sinnrichtung des Lebens.“

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