© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Frisches von gestern
Frohe Lumpenpuppe: Die Jazz-Pianistin Diana Krall singt und spielt Lieder der 1920er und 1930er Jahre
Markus Brandstetter

Diese Frau ist ein Phänomen! Die Jazz-Pianistin und Sängerin Diana Krall ist laut Biographie 47 Jahre alt, aber auf dem Cover ihrer neuen CD sind davon gefühlte 17 Jahre überhaupt nicht zu sehen. Da räkelt sich die Kanadierin mit der rauchigen Altstimme sinnlich-sexy in schwarzen Strapsen und hauchdünnen Korseletten auf einem roten Samtsofa, das in seinem ersten Leben im Etablissement der Irma la Douce gestanden haben muß. Natürlich wurden alle diese gut proportionierten Enthüllungen (in der CD gibt’s noch mehr) nicht mit Blick auf die Verkaufszahlen des neuen Albums in Szene gesetzt – keineswegs! Hier geht es vielmehr darum, dem Hörer die goldenen zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts auch visuell nahezubringen, diese Jahre also, von denen Frau Krall auf ihrem neuesten Album singt und spielt.

Es ist eine außergewöhnlich gute Platte geworden, und das sagt bei einer Künstlerin, die nun schon zehn gute Studio-Alben eingespielt hat, eine ganze Menge. Diana Krall, verheiratet mit dem – inzwischen gezähmten – New-Wave-Rocker Elvis Costello, mit dem sie Zwillinge hat, die die Musik der Mama nicht mögen, bietet auf „Glad Rog Doll“ ein Repertoire von Liedern zumeist aus den 1920er und 1930er Jahren. Die meisten davon sind zwar nicht so richtig bekannt, haben aber alle das gewisse Etwas.

Da ist zum Beispiel „There Ain’t No Sweet Man that’s Worth the Salt of My Tears“ („Es gibt keinen Süßen, der das Salz in meinen Tränen wert ist“), eine kleine Jazz-Ballade, die die alte Geschichte der Frau, die immer an den Falschen gerät, mit Delikatesse und Geschmack neu erzählt. Dann natürlich das Titelstück, „Glad Rag Doll“ („Frohe Lumpenpuppe“), eine Perle aus dem Jahr 1928 von Milton Ager, von dem auch die Musik zu – wer hätte es gedacht – „Wochenend’ und Sonnenschein“ stammt. Oder die Gene-Austin-Nummer „Let It Rain“ und der Doc-Pomus-Klassiker „Lonely Avenue“, den 1956 auch Ray Charles eingespielt hat.

Diana Krall ist es aber auch gelungen, Titel, die mit den Goldenen Zwanzigern nichts zu tun haben, auf der CD unterzubringen, etwa die ruhige Country-Ballade „Wide River to Cross“ des Autorenehepaares Buddy und Julie Miller aus Nashville. Das ist ein sentimentales, aber bewegendes Stück, in dem es heißt: „Ich bin nur halb daheim und muß noch weiterziehen, bis dahin, wo ich finde, was ich verlor. Ich bin lang schon unterwegs, aber immer sind Meilen noch zu gehen. Ein ganzer Fluß ist es, den ich noch queren muß.“ Das ist gar nicht so weit von der Grundstimmung der Winterreise von Schubert entfernt.

Das Erstaunliche bei all dem ist, wie nahtlos es Diana Krall gelingt, Songs so unterschiedlicher Provenienz miteinander zu verbinden, aufeinander zu beziehen und daraus ein stimmiges Ganzes zu machen. Das hat auch etwas mit den Arrangements und den Musikern der Platte zu tun. Und da haben Produzent und Sängerin sich wahrlich die Crème de la crème ins Studio geholt.

Arrangiert hat das Album Claus Ogerman. Der hieß ursprünglich Ogermann, stammt aus Ratibor in Schlesien, hat in Nürnberg am Konservatorium Musik studiert, ist aber 1959 in die USA ausgewandert, wo er das zweite „n“ verloren hat. Ogerman ist ein musikalisches Universaltalent: Früher hat er selber Klavier gespielt, aber seit vielen Jahren komponiert, arrangiert und produziert er nur noch. Einst in Deutschland hat er für Kurt Edelhagen und Max Greger Tanzmusik eingerichtet; später in den USA dann ist er zum Hausarrangeur von Frank Sinatra, Barbra Streisand, George Benson und Antonio Carlos Jobim aufgestiegen. Sein Können und seine Vielfalt sind schier grenzenlos. 1979 beschließt er aus Frust über die Kommerzialisierung des Musikgeschäfts, sich ins Privatleben zurückzuziehen, um nur noch zu komponieren, und zwar klassische Musik, die irgendwo zwischen Max Reger und Alexander Scriabin angesiedelt ist.

Erst 2001 ließ er sich wieder zur Rückkehr ins kommerzielle Geschäft bewegen – für Diana Krall. „Glad Rag Doll“ ist inzwischen deren drittes Album, das er betreut. Das war also das zweite Wunder, und das dritte ist, daß Ogerman, der eigentlich große Orchester mit achtzig Mitwirkenden, samtige Streicher und jazzende Bläsersätze mag, hier nun ganz auf kammermusikalischen Minimalismus abgespeckt hat und das Ganze trotzdem noch saumäßig gut klingt. Was natürlich auch an den anderen Mitwirkenden liegt, die ebenfalls erste Sahne sind.

Da ist der versatile und rhythmusstarke Marc Ribot an der Gitarre, der zwar auch Soloalben gemacht hat, den man aber hauptsächlich von seiner Zusammenarbeit mit dem Anarcho-Rocker Tom Waits („Rain Dogs“) und eben Elvis Costello kennt. Es kommt also nicht von ungefähr, daß die Platte ziemlich stark nach Tom Waits klingt, aber nicht nach dem von heute, sondern nach dem aus den 1970ern, der Tom Traubert’s Blues (von der CD „Small Change“) sang. Am Schlagzeug sitzt Jay Bellerose, der zusammen mit Ribot bereits mit der schwarzen Jazz-Diva Cassandra Wilson musiziert hat. Den Baß zupft Dennis Crouch, der das auch schon für Johnny Cash getan hat. Und dann ist da die Krall selbst, die hier einmal nicht am Flügel sitzt, sondern sich auf einem Steinway-Klavier aus dem Jahr 1890 sparsam, aber effektvoll selber begleitet.

Natürlich ist das jetzt kein authentischer Jazz mehr, sondern eine postmoderne, höchst artifizielle Hybridmischung aus achtzig Jahren Musikgeschichte, aufgepeppt mit modernster Studiotechnik. Aber egal ob geschüttelt oder gerührt – zusammen ergibt das alles einen süffigen Cocktail, den man sehr gerne genießt.

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