© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Die Begeher geistigen Neulandes
Das Institut für Staatspolitik hat sich im dritten Band des Staatspolitischen Handbuches den Vordenkern gewidmet
Baal Müller

Betrachtet man die Aktivitäten des Instituts für Staatspolitik (IfS), des führenden konservativen und neurechten „Think Tanks“ in Deutschland, lassen sich zwei Haupttendenzen ausmachen: Die eine spricht aus dem Namen der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift Sezession, die bislang vor allem innerhalb eines von bestimmten weltanschaulichen Grundannahmen zusammengehaltenen Milieus rezipiert wurde und gegenüber dem politisch-publizistischen Mainstream den Gestus einer „expressiven Loslösung“ (Götz Kubitschek) pflegt. Demgegenüber war die andere bereits für die Benennung des Instituts ausschlaggebend und untermauert dessen Anspruch, nicht nur einen verschworenen Intellektuellenzirkel begründen zu wollen, sondern die Voraussetzungen, Formen und Ziele politischen Handelns zu erforschen und – vornehmlich einem jüngeren, studentischen Publikum – zu vermitteln.

Diesem Bildungsauftrag ist in besonderer Weise das „Staatspolitische Handbuch“ verpflichtet, dessen dritter Band über die „Vordenker“ (nach den „Leitbegriffen“ 2009 und den „Schlüsselwerken“ 2010) nun vorliegt. Der Titel ist, wie die Herausgeber Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann hervorheben, nicht nur hinsichtlich der Personenauswahl weit gefaßt: Zum einen kann „Vordenken“ das Betreten geistigen Neulandes meinen, eine innovative Betrachtungsweise, die später auch von anderen nachvollzogen wird. Zum anderen kann es auch das aktive Bahnen von Wegen durch solches Neuland bezeichnen. Entsprechend können unter den hier behandelten Autoren die Philosophen und Fachwissenschaftler von den Publizisten unterschieden werden, die – mit weniger systematischem Anspruch – versucht haben, auf das politische Geschehen einzuwirken. Es finden sich Klassiker von Weltrang wie Martin Heidegger, Carl Schmitt oder Ernst Jünger, deren Begriffsprägungen heute – nicht nur – jede rechtsintellektuelle Diskussion beherrschen, neben bedeutenden Außenseitern, zu Unrecht Vergessenen und wieder zu Entdeckenden.

Ausgesprochene Exzentriker, abseitige Gestalten, Sektierer und „Gurus“, die der Antimodernismus des zwanzigsten Jahrhunderts in reicher Fülle zu bieten hat, fehlen allerdings vollständig; ebenso sind die Lebensreform und das völkische Spektrum nicht vertreten, und unter den religiösen Autoren wurden nur solche berücksichtigt, die etwa als katholische Kritiker des Liberalismus eine allgemeine Relevanz erreicht haben.

Für die Auswahl maßgeblich waren der diskursive, rational eingängige Gehalt eines (Lebens-)Werkes sowie dessen unmittelbare Bedeutung für aktuelle Debatten. Belletristische Autoren sind daher nur vertreten, wenn sie wie die Jünger-Brüder, Thomas Mann, Nicolás Gómez Dávila und Emil Cioran Beiträge zur Kulturphilosophie geleistet oder, wie etwa Ernst von Salomon, Joachim Fernau und Walter Kempowski, wichtige zeitkritische Betrachtungen zur deutschen Identität vorgelegt haben.

Da es sich beim „Staatspolitischen Handbuch“ um kein Lexikon der politischen Philosophie handelt, ist die philosophische Tradition von Platon bis Nietzsche nur in ihrer Vermittlung durch zeitgenössische, vor allem von Erik Lehnert, Harald Seubert und Till Kinzel hervorragend porträtierte Denker präsent. Das Schwergewicht liegt zweifellos bei den Historikern und Geschichtstheoretikern – darunter natürlich Ernst Nolte, Reinhart Koselleck oder Panajotis Kondylis –, den Soziologen, Politikwissenschaftlern, Staatsrechtlern sowie selbstverständlich bei den konservativen politischen Publizisten wie Caspar von Schrenck-Notzing, Armin Mohler, Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn oder Hans-Dietrich Sander, die namentlich von Karlheinz Weißmann, der mit Abstand die meisten Beiträge verfaßt hat, mustergültig dargestellt werden. Hervorzuheben ist auch die – an solchem Ort nicht selbstverständliche – Aufnahme naturwissenschaftlicher oder ethnologischer Autoren, deren Forschungen durch den Aufweis anthropologischer Konstanten für ein skeptisch-realistisches Menschenbild wesentlich sind.

Es ist bei der Publikation eines Instituts, das sich die Veränderung der politischen Zustände in Deutschland unter konservativem Vorzeichen auf die Fahne geschrieben hat, naheliegend, daß deutsche Theoretiker unter den „Vordenkern“ dominieren, jedoch wurde sowohl nationale Eigenbrötelei als auch ideologische „Bunkermentalität“ vermieden; amerikanische, französische oder italienische Autoren finden sich daher ebenso wie undogmatische linke, liberale und libertäre Theoretiker.

Eher führte das Streben nach Objektivität und lagerübergreifender Anschlußfähigkeit dazu, daß selbst so bekannte Vertreter der Konservativen Revolution wie Arthur Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung oder Othmar Spann fortgelassen wurden, da deren Schlagworte vom „Liberalismus, an dem die Völker zugrunde gehen“, von der Demokratie als „Herrschaft der Minderwertigen“ und ihre fundamental-alternativen Reichsentwürfe heute allenfalls noch die Diskussionen kleinerer Zirkel, nicht aber die der politischen Öffentlichkeit prägen.

Im Einzelfall ist die Nichtanwesenheit des einen oder anderen zwar bedauerlich (und im Falle etwa Oswald Spenglers erstaunlich), aber bei einem der Aktualität verpflichteten und im Umfang absichtlich beschränkten Handbuch unvermeidlich; dafür ist die ausführliche Behandlung unerwarteter Autoren wie des Germanisten Otto Höfler, der durch seine Forschungen zu archaischen Männerbünden das herkömmliche Germanen-Bild revidierte, des konservativen Ökologen und Grünen-Mitbegründers Herbert Gruhl oder des radikalökologischen DDR-Dissidenten Rudolf Bahro besonders hervorzuheben.

Den „Vordenkern“ ist ebenso wie den beiden anderen Bänden des „Staatspolitischen Handbuchs“ eine möglichst weite Verbreitung zu wünschen. Diese ist nicht nur deshalb zu erwarten, weil ein vergleichbares Standardwerk bislang fehlte, sondern auch weil das Handbuch – dank seiner zu anspruchsvollen Essays ausgewachsenen Artikel und der nüchternen, das „Schulmäßige“ akzentuierenden Gestaltung zum Trotz – weit mehr als ein gewöhnliches Lexikon zum Lesen und Sich-Vertiefen einlädt.

Erik Lehnert, Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Staatspolitisches Handbuch, Bd. 3: Vordenker. Edition Antaios, Schnellroda 2012, gebunden, 256 Seiten, 16,05 Euro

Foto: Botho Strauß, Erik Kuehnelt-Leddihn, Hermann Lübbe, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Margret Boveri, Martin Mosebach, Joachim Fest, Caspar v. Schrenk-Notzing, Robert Hepp, Ernst Jünger, v.l.n.r.: Schwergewichte

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