© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Greifswalder Gedächtnislöschung
Im Namen der historischen Flurbereinigung: 2013 verschwindet der 1994 neu errichtete Lehrstuhl für Pommerns Geschichte
Oliver Busch

Zum Ende des Wintersemesters 2012/13 wird in Greifswald Werner Buchholz, der Inhaber des Lehrstuhls für Pommersche Landesgeschichte, emeritiert. Auf den ersten Blick ist dies für jeden Pommern, vor allem für die Vertriebenen aus dem hinterpommerschen Teil der alten preußischen Provinz, eine gute Nachricht. Denn der erst spät in Hamburg 1990 habilitierte Frühneuzeithistoriker, der 1994 aus einer eher kulturpolitisch grundierten Athener Tätigkeit heraus berufen wurde – wohl nicht ohne Einfluß seines alten Marburger Lehrers Roderich Schmidt, der im Vorstand der Gesellschaft für Pommersche Geschichte saß und als Netzwerker bei der Einrichtung „freiheitlicher Strukturen“ an der einheitssozialistisch durchseuchten Landesuniversität eine große Rolle spielte – legte 1999 ein die Grenze zur dreisten Geschichtsklitterung überschreitendes, exzessiv polonophiles Bekenntnis ab, nachzulesen in seinem Band „Pommern“ für Siedlers renommierte Reihe „Deutsche Geschichte im Osten Europas“.

Buchholz’ Opus sowie einige an seinem Lehrstuhl entstandene landeshistorische Studien sind am schärfsten in den ehrwürdigen, tief im 19. Jahrhundert wurzelnden Baltischen Studien rezensiert worden, deren 134. Band soeben erschienen ist. In diesem Organ der pommerschen Geschichtsgesellschaft tritt jedoch die Dauerfehde mit dem volkspädagogisch engagierten Professor nun ganz in den Hintergrund. Bedeutsamer ist für den Gesellschafts-Vorsitzenden Ludwig Biewer, hauptberuflich an der Spitze des von geschichtspolitischen Stürmen umtosten Politischen Archivs im Auswärtigen Amt stehend, daß seinem Antipoden Buchholz niemand nachfolgt. Denn der Lehrstuhl, selbst in der politisch überaus korrekten Obhut des linksliberalen, zu den Haupttrommlern gegen eine nach Ernst Moritz Arndt benannte Alma mater zählenden Buchholz, stand permanent im „Revanchismus“-Verdacht.

Allzu spürbar war eben auch in Greifswald der von deutschen Historikern internalisierte, der Vertreibung aus der Erinnerung das Wort redende Opportunismus, die Geschichte Pommerns wie die der übrigen östlichen Provinzen des Reiches überlasse man getrost polnischen Kollegen. Obwohl die Etatstreichung offiziell mit Haushaltszwängen begründet wird, bleibt deswegen ein fader Nachgeschmack.

Der von Biewer, der als loyaler AA-Beamter, dem man dies nicht lohnen wird, naiv-unangemessenes „Verständnis für derartige Haushalts- und Sparzwänge“ bekundet, zu Recht so genannte „Skandal“ dieses Akts typisch bundesrepublikanischer Gedächtnislöschung blieb außerhalb der Regionalmedien ohne Resonanz. Gerade einmal in der Greifswalder Ausgabe des einstigen SED-Blattes Ostseezeitung (Ausgabe vom 6. Juni 2011) durfte Biewer seinen Protest unter der Überschrift „Pommern künftig nur noch nebenbei“ kundtun. In seiner resignativen Rückschau auf diesen verhallten Einspruch glaubt der AA-Archivar in der Entsorgung des Pommern-Lehrstuhls nur einen Nebeneffekt der gegen die Greifswalder Geisteswissenschaften zielenden Berliner wie Schweriner Wissenschaftspolitik zu erkennen. Die betreibe unaufhaltsam einen von jeder historischen Rücksichtnahme unbekümmerten „Abstieg der traditionsreichen Universität zu Greifswald hin zu einer Medizinischen Hochschule ‘mit Schmuckelementen’“.

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