© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Grüße aus Warschau
Absturz-Wirwarr
Christian Rudolf

Smolensk. 10. April 2010.“ Seit Wochen wühlt dieses Datum die polnische Seele auf, die darüber ohnehin nie zur Ruhe gekommen war. An jenem Tag stürzte eine Delegation mit dem Präsidenten der Republik Lech Kaczyński und weiteren bedeutenden Persönlichkeiten aus Staat und Kultur im Landeanflug auf Smolensk ab. Es ist die Tragödie nach der Tragödie, die das politische Klima an der Weichsel scheinbar rettungslos vergiftet. Obwohl offizielle Untersuchungen begonnen und abgeschlossen wurden, liegt noch immer soviel im Nebel, ist das Mißtrauen in die eigenen Behörden übergroß. Nach einer aktuellen Umfrage für den Sender TVN24 halten mehr als ein Drittel der Polen einen Anschlag für die Ursache des Absturzes.

Das kommt nicht von ungefähr: Am 27. Oktober wurde ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Ohrenzeuge der Katastrophe von Smolensk, erhängt im Keller seines Hauses aufgefunden. Nach offiziellen Ermittlungen ein Selbstmord – jedoch ohne Motiv. Der Fähnrich Remigiusz Muś gehörte zur Besatzung einer polnischen Jak-40, die eine Stunde vor der dann verunglückten Tupolew-154 landen konnte. Über den Bordfunk verfolgte er den mitgeschnittenen Funkverkehr mit dem Smolensker Tower: Der russische Lotse empfahl der Tupolew, die Flughöhe auf „nicht weniger“ als 50 Meter abzusenken. Das war die Hälfte des Zulässigen. In mehrmaligen Verhören hatte er zudem ausgesagt, beim Herannahen der Präsidentenmaschine zwei Explosionen gehört zu haben. Daß das Band mit den Aufnahmen zweieinhalb Jahre danach noch immer in einem Krakauer Institut ausgewertet wird, gehört zu dem Unverständlichen, das den Zweiflern, die eine Verschwörung wittern, neuen Stoff liefert.

Nur drei Tage danach dann die Meldung der seriösen Rzeczpospolita: Spuren von TNT im Wrack des Flugzeugs. Die nach wie vor von Rußland zurückgehaltenen Einzelteile durften im Oktober erstmalig von polnischen Sprengstoffexperten untersucht werden. Die polnische Generalstaatsanwaltschaft, die als Quelle angegeben war, dementierte nur Stunden später. Doch Kritiker argwöhnten sofort, sie sei von der Tusk-Regierung zurückgepfiffen worden. Jarosław Kaczyński, der Bruder des toten Staatsoberhaupts, spricht, rot vor Haß auf Ministerpräsident Tusk, von „Mord an 96 Personen“ und ist überzeugt, daß die Blackbox mit den Stimmen aus dem Cockpit der Tupolew vom russischen Geheimdienst manipuliert wurde.

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