© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Verantwortliche über die Geister, die sie riefen: Unterm Diktat des Punktesammelns
Späte Einsichten zum Bologna-Prozeß
(wm)

Da „große europäische Geister“ wie Jürgen Habermas und Jacques Derrida dafür entflammten, habe auch er sich von 1996 bis 2000 als Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium für die 1999 in Bologna beschlossene Universitätsreform eingesetzt. Wie Wolfgang Lieb nun jedoch zerknirscht einräumt (Forschung & Lehre, 10/2012), sei er damals ideologiekritisch leider nicht auf dem Quivive gewesen und habe verkannt, daß am Ende das im Lissabon-Vertrag angepeilte „wettbewerbsfähige Wissen“ über seine Bologna-Illusionen triumphieren werde. Mit dem „humboldtschen Prinzip der ‘Bildung durch Wissen’“ habe diese „privatnützige verengte Ausbildung zur Beschäftigungsfähigkeit (‘Employability’)“ jedenfalls nichts mehr zu tun. Eine zu späte Einsicht, zu der sich im gleichen Heft auch die Passauer Politologin Barbara Zehnpfennig durchringt, wenn sie gegen Bolognas „ökonomische Eigennutzlogik“ wettert, die deutsche Universitäten in „pseudo-nutzenmaximierende Lernmaschinen“ verwandele. Dieser „unzeitgemäße Einspruch“ verpufft angesichts des ihm vorangestellten Diktums des Siegener Sozialforschers Wolfgang Ludwig-Mayerhofer: Man entkomme dem „Diktat des Punktesammelns“ nicht mehr, es sei mit den Reformen unumkehrbar ein „neuer Organismus“ geschaffen worden, „der mit der alten Universität nichts mehr gemein hat“.

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