© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

James Bonds skrupellose Väter
Dem britischen Geheimdienst SIS waren im und nach dem Zweiten Weltkrieg alle Mittel recht, auch die von Kriegsverbrechern
Lydia Conrad

Der britische Auslandsgeheimdienst SIS (Secret Intelligence Service; auch bekannt als MI6) ist einer der verschwiegensten Geheimdienste des Westens. Während in den USA seit 2004 zahllose ältere Dokumente der CIA öffentlich gemacht wurden, haben Historiker immer noch keinen Zugang zu den Unterlagen des SIS aus früheren Zeiten – auch wenn durch die unlängst erfolgte Publikation von Keith Jefferys offiziöser Geschichte des MI6 im Zeitraum von 1909 bis 1949 etwas anderes suggeriert wird.

So liegt beispielsweise trotz aller vorgegaukelten Transparenz weiterhin ein dichter Mantel des Schweigens über der bedenkenlosen Rekrutierung von NS-Tätern zu Beginn des Kalten Krieges. Deshalb ist es überaus bedeutsam, daß der britische Enthüllungsautor Stephen Tyas nun wenigstens eine Ecke dieses Mantels lüftet und im Wiener Fachblatt Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (1/2012) einige besonders spektakuläre Fälle dokumentiert.

Am Beginn der Indienstnahme von Exponenten der Abwehr sowie der Gestapo und des Sicherheitsdienstes der SS stand die „Operation Applepie“ vom Sommer 1945. In deren Rahmen wurden etwa 200 frühere NS-Geheimdienstler über ihr Wissen hinsichtlich der Sowjet-union befragt, darunter auch Otto Ohlendorf und Walter Schellenberg, also die Chefs des Inlands- und Auslandsgeheimdienstes im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Allerdings mußten die beiden Letztgenannten nach wenigen Monaten an das Internationale Militärtribunal in Nürnberg überstellt werden, was die Zusammenarbeit beendete, aber nichts daran ändert, daß die Protokolle der Gespräche mit Ohlendorf auch 61 Jahre nach dessen Hinrichtung geheim sind.

Aus der „Operation Applepie“ zog der SIS die Lehre, zukünftig keine Informationen mehr darüber herauszugeben, welche Rußlandexperten des Dritten Reiches sich in seiner Hand beziehungsweise Diensten befinden. So erfuhren die alliierten Untersuchungsbehörden nichts über die Verpflichtung von Horst Kopkow. Dieser ehemalige RSHA-Abteilungsleiter und SS-Sturmbannführer gab alle seine Erfahrungen bezüglich der Bekämpfung sowjetischer Spionageringe an den SIS weiter und wurde dafür vor der Verfolgung durch die Ermittler der British War Crimes Group geschützt. Und das, obwohl Kopkow auch an die 150 britische Geheimagenten auf dem Gewissen hatte: Diese wurden nach ihrer Festnahme aufgrund seiner Vorsprachen bei Himmler liquidiert.

Wie wenig Skrupel der SIS hatte, auch schwerstbelastete Personen anzuheuern, zeigt ebenso der Fall von Victor Arajs. Dieser lettische Kollaborateur brannte im Juli 1941 die Synagoge von Riga nieder, wobei 500 Juden ums Leben kamen, und bildete dann ein spezielles Kommando, welches die SD-Einsatzgruppe A bei ihren Mordaktionen unterstützte. Insgesamt wird dem späteren SS-Sturmbannführer Arajs vorgeworfen, für über 26.000 Exekutionen von Juden, Kommunisten und Partisanen verantwortlich gewesen zu sein. Ungeachtet dessen griff der SIS aber 1946/47 auf Arajs’ Expertisen und Netzwerke zurück, als er daranging, Agenten nach Lettland zu schicken, um dort eine antisowjetische Untergrundbewegung zu unterstützen. Zum Ausgleich dafür wurde dem Massenmörder Arajs die Möglichkeit gegeben, sich zweieinhalb Jahrzehnte lang jedweder Strafverfolgung zu entziehen.

Etwas weniger Glück hatte hingegen der ehemalige Waffen-SS-Obersturmbannführer Alfred Franke-Griksch. Zwar blieb auch dieser Kriegsverbrecher unbehelligt, da er für den SIS arbeitete, fiel dann aber 1947 negativ auf, weil er an der Gründung einer neonazistischen Untergrundorganisation beteiligt gewesen war. Daraufhin wechselte er in die sowjetische Zone, wo er 1951 festgenommen und von einem UdSSR-Militärtribunal zum Tode verurteilt wurde.

Nach Gründung der Bundesrepublik beziehungsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz nutzte der britische Secret Intelligence Service seinen Einfluß, um allerlei „bewährte“ Mitarbeiter mit NS-Vergangenheit in der Kölner Behörde und den Landesämtern für Verfassungsschutz unterzubringen. Einer dieser ersten Hüter des Grundgesetzes war der Ex-SS-Hauptsturmführer Erich Wenger. Der Intimus von Kopkow galt als Mittäter bei der Ermordung kriegsgefangener alliierter Fallschirmjäger, was den Geheimdienst Seiner Majestät aber nicht daran hinderte, ihn von 1946 bis 1950 selbst zu beschäftigen und dann dem BfV als Chef der Gegenspionage unterzuschieben.

Weitere „Experten“, die 1950 vom SIS zum Verfassungsschutz wechselten, waren der ehemalige SS-Sturmbannführer Walter Odewald sowie Waldemar Pretzsch. Dieser hatte 1941/42 im Range eines Untersturmführers gestanden und der SD-Einsatzgruppe D auf der Krim und im Kaukasus angehört. In selbiger Eigenschaft dürfte er ebenfalls an diversen Erschießungen von Zivilisten beteiligt gewesen sein. All diese Fälle stellen aber vermutlich nur die Spitze eines Eisberges dar, dessen ganzes Ausmaß erst dann sichtbar werden wird, wenn sich die britische Regierung doch eines Tages dazu durchringen sollte, die Archive des SIS zu öffnen.

www.acipss.org

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