© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Ein Kilo Steinpilze für 1.200 Euro
Das Traditionshobby Pilzesammeln hat großen Zulauf: Viele Sammler wissen nichts vom Artenschutz
Heinz-Wilhelm Bertram

Die gesammelten Waldesschätze sind eingefroren oder haben als Trockenpilze in großen Gläsern ihren Platz gefunden. Ein schöner Anblick; in ihnen hat man ein bißchen den vergangenen Sommer eingefangen. Die Pilzsaison dauert noch an. In den schneefreien Gebieten nördlich der Mainlinie ist jetzt die Zeit der Spätherbstpilze mit Novembernamen wie „Nebelkappe“ oder „Totentrompete“.

Pilzberater berichten, daß das „In-die-Pilze-Gehen“ groß im Trend liegt. Bei geführten Wanderungen durch Wald und Wiesen steigt seit Jahren die Teilnehmerzahl in Größenordnungen. Es sind Laien und Einsteiger, die ein Hobby erlernen wollen, das den Gaumen erfreut und etwas Nervenkitzel bietet. Alteingesessene Pilzsachverständige beobachten, wie ihnen an Waldrändern, zwischen Baumstämmen und Unterholz mehr und mehr Konkurrenten begegnen. „Pilzesammeln hat einen sehr starken Zulauf“, weiß Heinrich Holzer. Der Regionalbeauftragte Bayerischer Wald innerhalb der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft weiß, wovon er spricht. Kaum ein Tag, an dem er nicht im Nationalpark Bayerischer Wald oder in angrenzenden Waldlandschaften unterwegs war und auf Suchende traf, bestückt mit Messerchen, Körben, Eimern oder Tüten.

Die Frage, ob ihm in seinen Hausgebieten Fälle bekannt seien, bei denen Pilzsammler mit Naturschützern aneinandergeraten seien, verneint er. Doch kenne er einen Fall, bei dem das Landratsamt Regen auf einen Zeitungsbericht hin sich zu einer Pressemitteilung mit Naturschutzhinweisen veranlaßt sah: Ein Rentner hatte am 6. September 300 Steinpilze aus dem Wald geholt – und seinen Fund via Zeitung stolz der Öffentlichkeit präsentiert. Der wohl spektakulärste diesjährige Fall trug sich im Südschwarzwald zu: Ein 69jähriger Schweizer Rentner wurde vom deutschen Zollamt Laufenburg dazu verdonnert, für knapp 12 Kilo Steinpilze und Maronenröhrlinge 1.265 Euro Bußgeld zu berappen. Bis auf ein Kilo wurden ihm alle Pilze abgenommen.

Streng rechtlich verstieß der Pensionär gegen die Bundesartenschutzverordnung. In ihr wird der „Schutzstatus wildlebender Tier- und Pflanzenarten“ geregelt. Paragraph 1 unterscheidet explizit zwischen „besonders“ und „streng“ geschützten Tier- und Pflanzenarten. Die „streng geschützten“ Pilze wie Saftlinge, Weißer Bronzeröhrling oder Grünling kennt und findet ohnehin kaum ein Durchschnittssammler. Viele Pilzsammler wissen dagegen nicht, daß das, was sie an alltäglicher Ernte aus den Wäldern tragen, „besonders geschützt“ ist. Zählen doch hierzu so populäre Arten wie Steinpilze, Rotkappen, Birkenpilze und Pfifferlinge sowie Spitz- und Speisemorcheln.

Was aber heißt „besonders geschützt“? Das ist Auslegungssache der Länder, die sich in Form von Ausnahmeregelungen niederschlägt. Bundesweit gibt es ein stillschweigendes Übereinkommen, das überwiegend so praktiziert wird: „Von den besonders geschützten Pilzen darf ein Sammler in Bayern zwei Kilogramm pro Person und Tag ernten“, so Heinrich Holzer. Diese Auslegung firmiert unter Begriffen wie „Handstrauß-Regelung“ oder „Menge für den eigenen täglichen Bedarf“. Doch selbst wer gegen diese Richtlinien verstößt, bleibt meist unbehelligt: Waldbesitzer, Forstbedienstete und Polizei verfolgen Massensammler nur in Ausnahmefällen. Etwa wenn sie gewerbliche Interessen hinter der Sammelleidenschaft wittern. Denn der fliegende Handel mit selbstgesammelten Pilzen ist, anders als etwa im Nachbarland Polen, in Deutschland verboten.

Aus anderem Holz sind da selbsternannte Hobbyjustizler geschnitzt. Ihnen reicht schon der Anblick eines mit Maronenröhrlingen gefüllten Kinderpilzkorbes im Internet, um giftige Pfeile in Richtung des Inhabers der Netzseite abzuschießen. Über „Raubbau“, „gierige Abräumermentalität“ und „Frevel an der Natur“ wird sich da ereifert; freilich stets aus dem Dickicht der Anonymität. Ist ja auch viel leichter, als sich mit den tonnenschweren Vollerntemaschinen im Wald anzulegen, die in einer Minute einen kompletten Baum auffressen – und so dem Wald wertvolle Nährstoffe entziehen. „Das und der Stickstoffeintrag“, sagt Heinrich Holzer, „sind viel größere Probleme als volle Pilzkörbe.“

www.passion-pilze-sammeln.com

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