© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

„Herausragende Bedrohung“
Terrorismus I: Der Verfassungsschutz warnt davor, den Islamismus zu unterschätzen
Christian Schreiber

Ende Oktober ging den Fahndern am Münchner Flughafen ein dicker Fisch ins Netz. Sie nahmen einen Mann fest, der unter Verdacht steht, an den Anschlägen in Casablanca, bei denen 2003 45 Menschen starben, beteiligt gewesen zu sein. „Dem Beschuldigten liegt die Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung in Marokko zur Last“, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München der Süddeutschen Zeitung. Es handle sich um eine islamistische Gruppierung.

Während die Medien ein Jahr nach Bekanntwerden der Mordserie, die der Zwickauer Terrorzelle zugerechnet wird, über abgetauchte Rechtsterroristen spekulieren, warnen Verfassungsschützer vor immer stärker werdender islamistischer Gruppierungen. In einer Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz heißt es, daß insbesondere der Hang zum Terrorismus zugenommen habe. „Militante Islamisten glauben sich legitimiert, die ‘islamische Ordnung’ mit Gewalt durchzusetzen. Sie beziehen sich dabei auf die im Koran enthaltene Aufforderung zum ‘Jihad’ – dem heiligen Krieg, die sie als heilige Pflicht zum unablässigen Krieg gegen alle ‘Feinde’ des Islam sowohl in muslimischen als auch in nichtmuslimischen Ländern ansehen“, schreibt die Behörde.

Wie ernst das Gefahrenpotential mittlerweile zu nehmen ist, zeigt ein Vorfall von Mitte September. Nach dem Auftauchen des Mohammed-Videos in den Vereinigten Staaten vermuteten radikale Islamisten die Drahtzieher auch in der Bundesrepublik. In einem achtseitigen Dokument forderte ein deutscher Islamist namens „Abu Assad“ seine Glaubensbrüder auf, als Rache für den Film Attentate in Deutschland zu begehen. Experten glauben nicht, daß es sich dabei um eine leere Drohung gehandelt habe. Denn es wird eine zunehmende Radikalisierung der gesamten Szene beobachtet.

Derzeit leben in Deutschland rund vier Millionen Moslems. Auch wenn der Verfassungsschutz darauf hinweist, daß nur ein kleiner Teil von ihnen radikalen Ideologien anhängen würde, sind die Zahlen besorgniserregend. Ende 2011 gab es 30 aktive islamistische Organisationen im Bundesgebiet. Das Bundesamt rechnet ihnen 38.080 Mitglieder zu. Zum Vergleich: Der rechtsextremen Szene gehören laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes derzeit rund 30.000 Personen an. Von den Islamisten gehören circa 32.000 türkischen sowie 3.800 arabischen Gruppierungen an. Sammelbecken bleibt dabei die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die rund 30.000 Mitglieder hat. Die IGMG gilt als der größte nicht vom türkischen Staat direkt beeinflußte türkisch-islamische Verband in Europa.

Schwer durchschaubare Strukturen

Die IGMG bestreitet, eine Form des Islam zu propagieren, die gegen die politisch-gesellschaftliche Integration der in der Bundesrepublik lebenden Türken gerichtet sei. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht dies aber ganz anders: „Tatsächlich versucht die IGMG jedoch über einen umfangreichen Katalog von Angeboten wie Korankurse, Hausaufgabenbetreuung, Ferienlager oder Sportaktivitäten Muslime durch möglichst alle Lebensbereiche umfassende Angebote an sich zu binden und mit der politischen Ideologie der ‘Gerechten Ordnung’ zu indoktrinieren.“

Neben Milli Görüs zählen auch Organisationen wie die Muslim-Bruderschaft oder die Islamischen Zentren zu den Organisationen, die sich zumindest offiziell von Gewalt distanzieren. Doch die Übergänge sind offenkundig fließend. Dabei geht es den Islamisten vor allem darum, die in ihren Herkunftsländern bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen durch ein strikt an der islamischen Rechtsordnung (Scharia) ausgerichtetes Staatswesen zu ersetzen. Zu diesen Organisationen zählen laut Verfassungsschutz unter anderem die islamische Widerstandsbewegung Hamas oder die „Partei Gottes“ „Hizb Allah“. Laut Behördenangaben fahren diese Organisationen eine Doppelstrategie. Einerseits geht es ihnen durch legalistische Aktivitäten darum, Kontakt zu einer Vielzahl von Moslems zu halten, um diese indoktrinieren zu können, andererseits gibt es auch zumindest heimliche Sympathien für terroristische Aktivitäten. Eine organisatorische Anbindung an das Terrornetzwerk al-Qaida sei dabei in den wenigsten Fällen gegeben. Das islamistisch-terroristische Spektrum in Deutschland reiche derzeit von Gruppierungen, die enge Beziehungen zu islamistischen Organisationen im Ausland haben, bis hin zu unabhängigen Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern.

Die wohl derzeit gefährlichste Bewegung ist der fundamentalistische Salafismus, dem der Verfassungsschutz nahezu alle islamistisch-terroristischen Aktivitäten in Deutschland zuordnet. Die Szene sei aufgrund ihrer schwer durchschaubaren Struktur für die Behörden kaum greifbar. „Es kann als gesichert gelten, daß das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung und schließlich Rekrutierung für den militanten Jihad bildet“, warnt der Verfassungsschutz und verweist auf das Attentat, welches ein salafistischer Einzeltäter am 2. März 2011 am Frankfurter Flughafen verübt hat und dabei zwei amerikanische Soldaten tötete. So überrascht das Fazit des Bundesamts für Verfassungsschutz kaum: „Beim Islamismus handelt es sich derzeit um die herausragende Bedrohung der Inneren Sicherheit in Deutschland.“

Foto: Betende Moslems vor der Bonner König-Fahd-Akademie: Besorgniserregende Zahlen

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