© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Jede Akte ein Schicksal
Deutsche Dienststelle: In Berlin lagert ein einzigartiger Bestand von Unterlagen, mit denen sich das Los ehemaliger Soldaten klären läßt
Felix Krautkrämer

Alles begann mit einer Schwarzweißaufnahme aus dem Fotoalbum meiner Mutter“, erzählt Hannes Fehrmann. „Ich war etwa zwölf Jahre alt, als ich das Bild zum ersten Mal sah. Es zeigte meinen Großvater in kurzärmeliger Wehrmachtsuniform, mit Tropenhose. Irgendwo im Süden. Ich fragte meine Mutter, wo und wann das Foto denn entstanden sei, aber sie wußte es nicht.“ Die Großeltern selbst konnte Fehrmann nicht fragen, sie waren beide bereits in den fünfziger Jahren gestorben. Seine Mutter wuchs danach in einem Ostberliner Kinderheim auf. „Das Fotoalbum hatte ihr ihre Mutter gegeben, kurz bevor sie starb. Das Bild darin war eine der wenigen Erinnerungen an ihren Vater, die meine Mutter hatte.“

Der heute 35jährige Berliner begann zu recherchieren, fragte im Verwandtenkreis, doch niemand wußte etwas Genaues über den Kriegseinsatz seines Großvaters. Auch die älteren Halbschwestern seiner Mutter nicht, es war nicht ihr Vater gewesen. Nur soviel war bekannt: Zwei Monate vor der Geburt von Fehrmanns Mutter erhielt der Großvater seine Einberufung, im Juni 1943, kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag. Über vier Jahre später, Ende September 1947, kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Seinen Platz zu Hause hatte da bereits ein anderer Mann eingenommen. Ihn habe das Schicksal seines Großvaters immer ein wenig an Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ erinnert, sagt Fehrmann. „So lange von daheim getrennt, und wenn man dann endlich zurück ist, ist alles futsch.“

Irgendwann wandte sich der gelernte Uhrmacher an die Deutsche Dienststelle (WASt) in Berlin, eine Behörde für die Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenen der Wehrmacht. Zwar war sein Großvater nicht gefallen, aber vielleicht hatte die Einrichtung ja trotzdem Informationen über dessen Kriegs-einsatz.

Immerhin verwahrt die Nachfolgerin der „Wehrmachtsauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene“, die im Zweiten Weltkrieg die Verluste der Wehrmacht durch Tod, Verwundung oder Kriegsgefangenschaft registrierte und die betroffenen Angehörigen benachrichtigte, in den Backsteinbauten in Berlin-Reinickendorf rund 4.300 Tonnen Akten und Karteimaterial. Dazu zählen etwa 18 Millionen Karteikarten über Wehrmachtsoldaten und Angehörige anderer militärischer Verbände, fünf Millionen Wehrstammbücher, 150 Millionen Verlustmeldungen, 100 Millionen namentliche Veränderungsmeldungen in den Erkennungsmarkenverzeichnissen von Heer und Luftwaffe, 15 Millionen Meldungen über deutsche Kriegsgefangene, 1,6 Millionen Marinepersonalakten sowie 4,5 Millionen Gräberkarteikarten.

40.000 Anfragen verzeichnete die WASt alleine im vergangenen Jahr, darunter 18.000 Personenüberprüfungen, sogenannte Verbleibsangelegenheiten. „Das Interesse an der Arbeit der Dienststelle ist ungebrochen groß“, erläutert Wolfgang Remmers, Abteilungsleiter für Unterlagen und Auskunftserteilung. Auch heute, mehr als 67 Jahre nach Kriegsende, gälten noch immer eine Million Wehrmachtsoldaten als vermißt, die meisten von ihnen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Gerade die Enkelgeneration habe ein großes Interesse daran, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten. „Was hat der Großvater während des Kriegs erlebt? Wo war er eingesetzt? Wurde er verwundet? Wie lange war der Kriegseinsatz? Ist er in Kriegsgefangenschaft geraten?“ Fragen, die sich auch Hannes Fehrmann stellte. „Tat sich die vorherige Generation noch schwer, diese Fragen zu stellen beziehungsweise darauf Antworten zu erhalten, so ist das jetzt innerhalb der Familie kein Tabuthema mehr“, berichtet Remmers. Die Deutsche Dienststelle leiste so einen wichtigen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung.

Doch dafür braucht es mitunter auch Zeit. In Fehrmanns Fall dauerte die Bearbeitung seiner Anfrage etwa sieben Monate, dann fand sich eines Morgens ein Schreiben mit dem Stempel der Behörde in seinem Briefkasten. In diesem teilte ihm eine Mitarbeiterin der WASt mit, daß die Personalpapiere seines Großvaters wie Wehrpaß und Wehrstammrolle nicht mehr existierten. Vermutlich seien sie durch Kriegseinwirkung verlorengegangen. Dennoch konnte sie ihm die Einheit und den Einsatzraum seines Großvaters nennen: Eine Bewährungseinheit („999er“) in Griechenland. Plötzlich erklärte sich auch, warum der Großvater erst so spät und mit fast vierzig Jahren einberufen worden war. Bis Oktober 1942 waren verurteilte Straftäter vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen, sie galten als „wehrunwürdig“. Als die Wehrunwürdigkeit vom Oberkommando der Wehrmacht für die Dauer des Krieges aufgehoben wurde und nach der Kriegswende in Stalingrad und Afrika auf keinen Mann mehr verzichtet werden konnte, erhielt auch Fehrmanns Großvater seinen Gestellungsbefehl.

Es dauerte einige Zeit, bis der Enkel herausfand, was sich sein Großvater hatte zuschulden kommen lassen. Als Angestellter in einer Bank war er Ende der zwanziger Jahre wegen einer Unterschlagung zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden. Weder seine Tochter, Fehrmanns Mutter, noch ihre Halbschwestern wußten davon. Schlecht denkt Fehrmann über den Großvater dennoch nicht: „Er hat für seine Tat gebüßt. Sowohl im Zuchthaus als auch im Bewährungsbataillon, das unter anderem zur Partisanenbekämpfung in Griechenland eingesetzt wurde. Wer sich ein bißchen mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beschäftigt, der weiß, was das heißt.“

Als nächstes will Fehrmann nun dem Kriegseinsatz seines zweiten Großvaters nachgehen. Zwar kennt er dessen Schicksal – er fiel im Frühjahr 1945 als Angehöriger eines Volkssturmbataillons in der Gegend um Virchow in Pommern –, doch sowohl der genaue Ort als auch die Umstände seines Todes sind bis heute unklar. Der letzte Feldpostbrief ist auf Anfang Februar 1945 datiert. Eine Anfrage beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge blieb ohne Ergebnis. Und auch die WASt konnte in diesem Fall nicht weiterhelfen. Es läge weder eine Vermißten- noch eine Todesmeldung vor, hieß es in der Auskunft.

Trotzdem hofft der Enkel, irgendwann doch noch Einzelheiten über den Tod des Großvaters väterlicherseits in Erfahrung bringen zu können. Und ganz unbegründet ist diese Hoffnung nicht: 2011 konnte die WASt in über 900 Fällen durch neue Erkenntnisse wie beispielsweise gefundene Gebeine das Schicksal bis dahin vermißter Wehrmachtsoldaten klären und deren Angehörige informieren.

Dabei arbeitet die Deutsche Dienststelle eng mit dem Volksbund zusammen, der im Auftrag der Bundesregierung in Osteuropa Kriegsgräberstätten für gefallene deutsche Soldaten errichtet. Die WASt ermittelt anhand ihrer Unterlagen für den Volksbund die in Frage kommenden Grab- und Verlustmeldungen. Kommt es daraufhin zu Aus- oder Umbettungen gehen die gefundenen Nachlässe wie Erkennungsmarke oder andere erhalten gebliebene Gegenstände an die WASt. Mit ihnen kann sie die Identität des Gefallenen klären und dessen Angehörige informieren. Zwischen 20 und 25 solcher Nachlässe werden noch heute jeden Monat von der Deutschen Dienststelle an Familienangehörige übergeben.

Und noch eine weitere Aufgabe zählt zu den Zuständigkeiten der WASt: die Bearbeitung von Nachfragen sogenannter Kriegskinder. Ein Thema, das laut Remmers in den von der Wehrmacht besetzen Ländern lange tabuisiert wurde. Über 450 solcher Anfragen habe die Deutsche Dienststelle im vergangenen Jahr bekommen, mit denen Besatzungskinder ihre leiblichen Väter suchten, Tendenz steigend. In Frankreich werde von etwa 200.000 Kriegskindern ausgegangen. In den Niederlanden schätzten Experten ihre Zahl auf 50.000, in Dänemark und Norwegen jeweils auf etwa 12.000 und in Belgien auf rund 40.000. „Oft ist es die Dienststelle, die aufgrund ihrer einzigartigen Unterlagen die Identifizierung der gesuchten Väter erst möglich macht“, betont Remmers.

Auch Hannes Fehrmann ist froh, daß er dank der WASt das Kriegsschicksal seines Großvaters wenigstens teilweise in Erfahrung bringen konnte. „Wenn man so wenig über den eigenen Großvater weiß, ist man dankbar für jedes Detail, das hilft, sich ein Bild von ihm machen zu können. Wenn auch vielleicht nur ein unvollständiges. Aber es läßt ihn vertrauter erscheinen“, meint der Familienvater etwas nachdenklich. Die Person auf dem Fotoalbum der Mutter habe somit eine Geschichte bekommen. Und die wiederum sei nun Teil der eigenen Familiengeschichte.

 

Deutsche Dienststelle

Die Deutsche Dienststelle (WASt) verwaltet etwa 4.300 Tonnen Akten- und Karteimaterial, darunter ca. 18 Millionen Karteikarten über Angehörige der ehemaligen deutschen Wehrmacht und anderer militärischer Verbände, fünf Millionen Wehrstammbücher, 150 Millionen Verlustmeldungen und 15 Millionen Meldungen über deutsche Kriegsgefangene sowie 4,5 Millionen Gräberkarteikarten.

Die WASt ist Rechtsnachfolgerin der Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene. Grundlage bildet unter anderem Artikel 77 der Genfer Konvention von 1929, der kriegführende Staaten verpflichtet, bei Beginn von Feindseligkeiten amtliche Auskunftstellen einzurichten.

Nach Kriegsende wurde die Dienststelle vom Alliierten Kontrollrat beauftragt, ihre Arbeit fortzuführen.

Deutsche Dienststelle (WASt) für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht: Eichborndamm 179, 13403 Berlin www.dd-wast.de dd-info@dd-wast.de

 

Wer? Wie? Was kostet es?

Rechtsgrundlagen

Wer als Privatperson eine Auskunft von der Deutschen Dienststelle bekommen möchte, muß eine Vollmacht des Betroffenen oder aber, wenn dieser bereits verstorben ist, eine Vollmacht des nächsten lebenden Angehörigen vorlegen.

Neben der Frage nach Verbleib oder gegebenenfalls nach dem Grab eines ehemaligen Wehrmachtsangehörigen kann auch der militärische Werdegang eines Angehörigen ermittelt werden.

 

Verfahrensablauf

Anträge können per Post, Fax oder per E-Mail (dd-info@dd-wast.de) an die Dienststelle übermittelt werden. Notwendig ist dabei die Angabe einer vollständigen Absenderanschrift. Zudem gibt es die Möglichkeit, ein Antragsformular über die Internetpräsenz (www.dd-wast.de) abzuschicken. Mit einer Bearbeitungszeit von mehreren Monaten muß gerechnet werden.

Personenbezogene Auskünfte werden aus datenschutzrechtlichen Gründen ausschließlich auf dem Postweg versandt.

 

Erforderliche Unterlagen oder Angaben

Es werden Name, Vorname und Anschrift des Antragstellers, der Grund der Anfrage, das Verhältnis zum Betroffenen sowie möglichst dessen vollständige Personalien benötigt. Sollten Truppenteile oder Dienstgrad bekannt sein, wird gebeten, diese mitzuteilen. Gegebenenfalls sind weitere, auch urkundliche, Nachweise beizufügen.

 

Kosten

Wer einen Antrag an die Dienststelle übermittelt, erklärt sich mit der Übernahme der Verwaltungsgebühren einverstanden. In der Regel werden 8 Euro pro Seitenauskunft in Rechnung gestellt (Kopien kosten 50 Cent). Die Erstellung eines militärischen Werdegangs kostet etwa 20 Euro.

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