© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Schauspiel der Macht
China: Die neue Führung der Kommunistischen Partei setzt auf Bewährtes
Markus Brandstetter

Nur alle fünf Jahre tritt der Nationalkongreß der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zusammen, und nur alle zehn Jahre kommt es im Politbüro zu einem vollständigen Stühlerücken in der Parteispitze, dem eigentlichen Kabinett der Großmacht. Dieser Prozeß ist nun abgeschlossen. Die neuen und die beiden alten Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros wurden der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Jetzt wird es nochmals bis März 2013 dauern, bis das Politbüro dann die neue Regierung gebildet haben wird.

Alles an diesem Tag ist abgelaufen wie immer: Die Mitglieder dieses höchsten Gremiums der KPC defilierten in hierarchischer Reihenfolge über den roten Teppich in der Großen Halle des Volkes, wo sie dann ein scharlachrotes Podium erklommen. In der Mitte Xi Jinping, neu ernannter Parteichef und ab März 2013 dann auch Chinas neuer Präsident. Alle auf dem Podium sind mindestens Ende Fünfzig, viele weit älter. Sie tragen die maßgeschneiderten dunkelblauen Anzüge aus feinstem Tuch mit roten Seidenkrawatten, die für Chinas politische Elite verpflichtend sind.

Mit holzschnittartigem Lächeln hat Xi Jinping seinen Vorgängern artig gedankt, anschließend aber unverzüglich die wirtschaftlichen Errungenschaften der letzten 20 Jahre, die unweigerliche Führungsrolle der KPC und die Notwendigkeit der Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses betont.

Den Kampf gegen die Korruption auf allen Ebenen und ein stetig wachsendes Einkommen für die heute noch Armen unterstrich der zukünftige Präsident ebenso. Der neue Präsident hat in seiner Rede zum Abschluß des Nationalkongresses nichts anderes gesagt als sein Vorgänger Hu Jintao am Anfang: Die Reformen in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft seien zu vertiefen, das Wirtschaftswachstum in Richtung auf private Konsumption zu lenken, und den Kräften des Marktes solle mehr Freiraum eingeräumt werden. Das sind gut gebrauchte alte Hüte, die eines signalisieren: Wenig wird sich ändern. Denn Staat, Partei und Politik, was in China ein und dasselbe ist, sind dermaßen von Korruption durchzogen, daß es selbst die KPC einräumt.

So hätte unter den neu ernannten Mitgliedern des Ständigen Ausschusses eigentlich ein Mann sein sollen, der heute im Gefängnis sitzt, das er nie mehr verlassen wird. Die Rede ist von Bo Xilai, 63, Sohn eines Weggefährten von Mao Tse-tung, ehemals Wirtschaftsminister, Provinzgouverneur und Mitglied des Politbüros. Dessen Frau ermordete vor einem Jahr einen britischen Geschäftsmann und Freizeitspion, der dem britischen MI6 Informationen zutrug. Das Ende für das Ehepaar Bo kam ebenso rasch wie vorhersehbar. Die Politikergattin wurde zum Tode auf Bewährung verurteilt, ihr Mann verlor alle politischen Ämter und wurde aus der Partei verstoßen.

Dieser Fall ist aber nur die Spitze des Eisbergs aus Zensur, Korruption und Vetternwirtschaft auf allen politischen Ebenen. Die in China-Angelegenheiten stets gut informierte New York Times deckte im Oktober auf, daß die Familie von Wen Jiabao, dem scheidenden Ministerpräsidenten, ein Vermögen von unglaublichen zwei Milliarden Euro angehäuft hat.

Parallel dazu verlangte der britische Economist in einem Leitartikel von der neuen chinesischen Führung tiefgreifende Änderungen. Xi Jinping solle freie Wahlen einführen, eine unabhängige Justiz schaffen, die Zensur von Presse und Internet aufheben, Banken und Unternehmen aus dem Klammergriff des Staates entlassen, den Bauern ihr Land zurückgeben und die Arbeitslager für politische Gefangene schließen.

Das sind noble Forderungen, aber realistisch sind sie nicht. Ein Heer von China-Spezialisten, Professoren und Exilchinesen verlangt und prognostiziert all das seit Jahrzehnten, eingetroffen davon ist gar nichts, und auch zukünftig ist nicht damit zu rechnen.

Chinas herrschende Elite zeigt keinerlei Neigung, die Macht abzugeben. Während ein Sitz im Politbüro früher lediglich Macht bedeutete, garantiert er heute Macht und Reichtum für die ganze Familie. Jeder Provinzgouverneur, jeder Bürgermeister hat Ehefrauen, Schwestern, Brüder, Onkel und Tanten, Söhne und Töchter, die durch ihn günstig oder gleich kostenlos an Grund und Boden, Baugenehmigungen, Geschäftsverbindungen und Bankkredite gelangen. Freie Wahlen, eine freie Presse und eine unabhängige Justiz würden diesem Treiben irgendwann ein Ende bereiten, was natürlich keiner, der heute davon profitiert, wirklich will.

Das nächstgrößte Problem nach der Korruption ist ein tiefgreifender Widerspruch, der die ganze chinesische Wirtschaft durchzieht. Chinas Inlandsprodukt beträgt heute das Achtzehnfache dessen, was es im Jahr 1992 betragen hatte. Chinas Wirtschaftsleistung hat diejenige von Deutschland wie die Japans längst überholt. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr fast die Hälfte des US-amerikanischen ausmachen.

Geht es in dem Tempo weiter, dann wird China – nach manchen Meinungen im Jahr 2028, nach anderen bereits 2018 – die USA überholen und zur größten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen. Das ist eine überaus eindrucksvolle Entwicklung, die einem Fünftel der Chinesen zu Vermögen und Wohlstand verholfen hat und Balsam für die kollektive Seele des Volkes, das unter Kolonialismus und Bürgerkriegen vielleicht mehr als jedes andere in den letzten 150 Jahren gelitten hat.

Aber an 700 Millionen Chinesen ist dieser Fortschritt vorübergegangen. Sie sind genauso arm wie vor 20 Jahren, sehen aber andere Chinesen im BMW vorbeifahren, müssen mit einer weitgehend verschmutzten Umwelt, ungesundem Essen, winzigen Behausungen und wenig Aussichten auf Besserung zurechtkommen. Die Ausnahme bildet lediglich eine neue selbstbewußte Mittelklasse, die, durch Internet und Auslandsstudien bestens informiert, politisch mitreden will – aber nicht mitreden darf.

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