© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Tod dem Schmetterling
Euro-Studie: Krisenszenarien der Prognos AG / Löst der Austritt Griechenlands eine weltweite Rezession aus?
Bernd-Thomas Ramb

Nach der mathematischen Chaostheorie kann der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auslösen. In ähnlichen Sphären bewegt sich eine Analyse der Prognos AG, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die finanziellen Folgen eines Euro-Austrittes Griechenlands berechnete.

Das Berliner Büro des Prognoseunternehmens geht dabei von einer Kettenreaktion aus, die mit dem Griechenland-Exit ausgelöst wird. Das Ausscheiden weiterer Euro-Krisenländer und die dadurch verursachten weltweiten Wachstumseinbußen führen nach Berechnung der Prognos-Fachleute bis zum Jahr 2020 zu einer Gesamtschadenshöhe von 17,2 Billionen Euro.

Austritt und Staatsbankrott Griechenlands verkraftbar

Von den in dieser Analyse betrachteten 42 Industrie- und Schwellenländern würde Deutschland zirka ein Zehntel der Wachstumseinbußen erleiden – 1,7 Billionen Euro. Härter träfe es nur den Euro-Währungspartner Frankreich mit 2,9 Billionen, die USA mit 2,8 Billionen und China mit 1,9 Billionen Euro. Insgesamt kommen die Prognostiker zum Ergebnis: „Ein zunächst isolierter Austritt Griechenlands und sein Staatsbankrott wären zwar ökonomisch verkraftbar, könnten aber mit ihren schwer kalkulierbaren Folgen die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen, die auch vor außereuropäischen Volkswirtschaften keinen Halt machen würde.“

Das „Könnte“ der Prognos-Berechnung ist sicher ein gewichtiger Kritikpunkt der Studie. Auch wenn der Prognosezeitraum von sieben Jahren relativ gut überschaubar ist, Wachstumsprognosen sind ein schlüpfriges Pflaster, besonders wenn sie auch noch mit Wechselkursprognosen verbunden sind. Wer weiß schon, wie sich der Kurs des US-Dollars oder des chinesischen Renminbi zum taumelnden Euro entwickelt? Gleichwohl bietet die von der Bertelsmann-Stiftung veranlaßte Warnung einige aufschlußreiche Vergleichsmöglichkeiten, insbesondere wenn die fehlende Kostenseite einer Griechenland-Rettung einbezogen wird.

Zunächst irritiert die Feststellung, Frankreich habe einen um 70 Prozent größeren Schaden zu befürchten als Deutschland. Da sollte sich eigentlich auch das Interesse Frankreich an der Griechenland-Rettung um diesen Faktor höher bei der Finanzierung niederschlagen. Die tatsächliche finanzielle Beteiligung etwa am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und an der Europäischen Zentralbank (EZB) weist jedoch andere Proportionen aus.

Deutschland ist mit 27,15 Prozent an den Kosten beteiligt, Frankreich dagegen nur mit 20,39 Prozent. Frankreich zahlt somit ein Viertel weniger als Deutschland für die Griechenland-Rettung, zieht aber einen um 70 Prozent höheren Gewinn daraus. Weiterhin verwundert die fehlende Beteiligung der USA und Chinas an der angeblich verlustvermeidenden Rettung Griechenlands.

Beiden Ländern müßte diese Rettung doch bis zur Höhe der zu befürchtenden Wirtschaftseinbußen wert sein – China bis zu 1,9 Billionen Euro, den USA bis zu 2,8 Billionen Euro. Statt dessen haben US-Präsident Barack Obama und Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao bislang nur Lippenbekenntnisse zur Wichtigkeit der Euro-Rettung abgegeben und bestenfalls den Ankauf griechischer Staatspapiere vage in Aussicht gestellt. Dagegen fehlt es nicht an Ermahnungen, Deutschland solle als wirtschaftsstarke Nation den Karren aus dem Dreck ziehen.

Kosten der Euro-Rettung nicht gegengerechnet

Verschwiegen wird, daß auch die beiden absoluten Zahlen der Kosten-Nutzen-Rechnung die wirtschaftliche Bilanz für Deutschland negativ ausfallen lassen. Die Gesamtschadenssumme einer unterlassenen Euro-Rettung wird von der Prognos AG für Deutschland auf 1,7 Billionen Euro geschätzt. Die Studie geht dabei aber gleichzeitig von einem sukzessiven Ausscheiden weiterer Krisenstaaten aus dem Euro-Verbund aus. Die Kosten, die zur Abwehr des Euro-Zusammenbruchs für Deutschland entstehen, sind jedoch damit aufzurechnen. Sie bestehen vor allem darin, daß Deutschland letztlich die Schulden der bankrotten Staaten übernimmt.

Eine entsprechende Analyse des ESM-Vertrags beziffert die finanzielle Belastung Deutschlands nach einem Ausscheiden der überschuldeten Südländer gemäß dem dann auf 43 Prozent gestiegenen deutschen Anteil am Rettungspaket auf 1,4 Billionen Euro. Das würde sich zwar noch bei einem versprochenen Rettungsgewinn von 1,7 Billionen Euro lohnen, die mögliche „Gewinnmarge“ schmilzt jedoch auf 300 Millionen dahin. Frankreich muß nur gut eine Billion investieren, um den Verlust von 2,9 Billionen Euro zu vermeiden. Das rechnet sich viel besser.

Klinkt sich Frankreich aber auch noch aus der Euro-Rettung aus, übersteigt die deutsche Kostenübernahme den Betrag von 3,7 Billionen Euro. Ist dies die Vermeidung eines vermuteten deutschen Wirtschaftswachstumsverlusts von 1,7 Billionen Euro wert? Sicher nur, wenn dabei angerechnet wird, daß Deutschland damit den Euro rettet, der dann nur noch von Österreich, Finnland und Holland anerkannt wird. Abgesehen davon, daß durch die heroische Aufopferung Deutschlands dann die Weltwirtschaft vor einem Kollaps bewahrt wird.

Die Prognos-Studie liefert eine wirklich wichtige Erkenntnis: Bevor die Euro-Rettungspolitiker sich an den süßen Trauben künftig vermuteter Verlustvermeidung laben, sollten sie den Kosten ins Auge schauen – oder: Man kann Orkane nicht vermeiden, indem man alle Schmetterlinge tötet.

Studie „Wirtschaftliche Folgen eines Euro-Austritts der südeuropäischen Mitgliedsstaaten“: www.prognos.com

Foto: Der griechische Schmetterling soll einen Orkan auslösen: Die heroische Aufopferung Deutschlands soll die Weltwirtschaft vor einem Kollaps bewahren

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