© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Teure Aussichten
Agrarmarkt: Bevölkerungswachstum und Flächenverknappung treiben Nahrungsmittelpreise
Christian Baumann

Die Molkereien sind in Erklärungsnot. Der Ruf nach höheren Auszahlungspreisen bei Milch und Milchprodukten für Milcherzeuger wird immer lauter. Die Verwertungserlöse für Milch sind kräftig gestiegen, Marktführer Aldi erhöhte den Literpreis um ein Fünftel. Weitere Milchprodukte wie Schlagsahne oder Käse könnten dem Preistrend folgen. Bei stabiler Inlandsnachfrage und einem Exportzuwachs um 25 Prozent ist die Marktsituation erfreulich.

Daß die Milchbauern trotzdem klagen, ist nachvollziehbar, denn es ist nicht das Milchgeld, welches mit der steigenden Nachfrage nach oben zieht, sondern es sind die Ausgaben, die für die Herstellung eines Liters Milch zwangsläufig anfallen. Warum erfahren mit Bauernhand erzeugte Lebensmittel keine angemessene Wertschätzung? Das war früher ganz anders. Die Deutschen gaben vor mehr als hundert Jahren über die Hälfte ihres Geldes für Lebensmittel aus. 1970 waren es immerhin noch 19 Prozent – heute sind es zehn bis elf Prozent.

Zudem wurden Lebensmittel immer erschwinglicher. Im Schnitt mußte ein Arbeiter 1970 noch über 70 Minuten arbeiten, um sich ein Kilogramm Rindfleisch leisten zu können, heute ist es keine halbe Stunde mehr. Für zehn Eier hat man 22 Minuten arbeiten müssen, heute sind es nur noch vier Minuten. Neun Minuten waren es für einen Liter Milch, heute sind es lediglich drei.

Ob sich dieser Trend weiter fortsetzen wird, darüber kann man spekulieren. Die Zeiten abgrundtiefer Milchseen und himmelhoher EG-Butterberge sind passé. Angesichts des globalen Bevölkerungswachstums ist zu vermuten, daß der Nahrungsmittelbedarf langfristig wachsen wird – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Markt. Selbst wenn man sich von der heute politisch gewollten Flächenstillegung sowie der ökonomisch ausgerichteten Zweckentfremdung wertvoller Ackerböden für „Bio“-Energien zwangsläufig verabschieden muß, werden die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen nach heutigem Standard nicht ausreichen, um den weltweiten Hunger völlig zu stillen. Das dann knappere Angebot bringt höhere Preise für die aus heutiger Sicht konventionellen Lebensmittel. Ob der Konsumverzicht dann bei Urlaub, Auto oder den Grundbedürfnissen geübt wird, bleibt jedem selbst überlassen. Viel Spielraum wird es bei solchen Überlegungen allerdings nicht geben.

Wenn der Handel dann sein vom Konkurrenzkampf getriebenes Spiel der gegenseitigen Preisunterbietung in dieser Produktsparte unterläßt, möglichweise sogar unterlassen muß, dann könnte die zwangsläufig geschaffene Wertschöpfung vielleicht endlich bei den eigentlichen Erzeugern – den deutschen Bauern – ankommen.

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