© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Die Puzzleteile ergeben kein Bild
Sechs Schicksale in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: „Cloud Atlas“ von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern
Claus-M. Wolfschlag

Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister („Matrix“) stellen mit „Cloud Atlas“ das Ergebnis einer Zusammenarbeit vor, deren Inhalt nicht mit wenigen Sätzen geschildert werden kann. Der Film besteht nämlich aus sechs Einzelfilmen, die in unterschiedlichen Jahrhunderten spielen. Der Streifen fungiert so als Visitenkarte eines Regisseur-Dreigestirns, das es meisterhaft verstanden hat, einen beeindruckenden Bilderreigen mit wundervollen Aufnahmen zu erzeugen.

Jedes Genre wird in dieser Verfilmung des bekannten Romans von David Mitchell perfekt bedient. So erlebt der Betrachter ein Historienabenteuer, ein Gesellschaftsdrama, einen Enthüllungskrimi im Retro-Look, eine Tragikomödie, eine Science-fiction-Dystopie und einen Endzeit-Fantasy-Streifen, und dies alles innerhalb eines einzigen Filmes. Von 1846 bis 2346 erstreckt sich die Handlung über 500 Jahre hinweg. Jede dieser sechs Einzelhandlungen hätte, etwas gestreckt und im Stoff ergänzt, locker allein das Potential gehabt, einen großen Kinofilm zu füllen. Möglicherweise wäre es also sogar sinnvoller gewesen, statt eines holprigen Gesamtfilmes sechs stimmige Einzelfilme zu machen.

Die Problematik des Streifens liegt nämlich darin, die sechs Puzzleteile auch zu einem Gesamtkomplex zu verbinden. Dieser Anspruch ist in der „Cloud Atlas“-Verfilmung grandios gescheitert. Vielleicht deshalb, weil man hierbei das Medium Film wahrscheinlich überschätzt oder überdehnt hat, denn die Kreation der Klammer, des gemeinsamen Überbaus will einfach nicht richtig gelingen. Die Schwäche liegt also in der zu ambitionierten Struktur des Drehbuchs. Die Beziehungen der Hauptfiguren zueinander und zu ihren eigenen Wiedergeburten werden nicht über den Gesamtfilm hinweg deutlich. Der Querverbindungen sind zwar viele, doch sie wirken oft nur wie flüchtig eingestreute Zitate ohne wirkliche Klammer-Funktion.

„Die Seelen wandern über die Zeit wie die Wolken über den Himmel“, äußert eine der Personen in dem 2004 erschienenen Roman. Eine wichtige Idee des Buches ist demnach, daß Menschen ihre persönlichen Entwicklungslinien in einem anderen Leben wieder aufnehmen und Beziehungen immer wieder neu geknüpft werden. „Fehler können dabei korrigiert oder wiederholt werden. Liebe kann die Ewigkeit überdauern, Freiheit kann gewonnen oder verloren werden. Immer wieder bestimmen einzelne Entscheidungen, die getroffen werden, das menschliche Handeln und die Entwicklung der Welt“, heißt es im Presseheft des Films.

Doch der Gedanke der Wiedergeburt der Seelen, die sich in unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Konstellationen wieder begegnen, wird in dem Film „Cloud Atlas“ nicht hinreichend deutlich. Auch nicht der Gedanke, daß Handlungen der Vergangenheit und Gegenwart die Zukunft direkt beeinflussen können. Somit wird der Überbau, der verbindende Handlungsrahmen nur über eine vage, aber sehr deutlich vorgetragene humanistische Botschaft zu errichten versucht, die in dem „Willen zur Macht“ eine Wurzel für den ewigen Kreislauf von Unterdrückung und Ausbeutung zu erkennen meint.

In jeder Einzelgeschichte taucht deshalb das Motiv der Gefangennahme auf, manchmal körperlicher Art, manchmal nur in Form des seelischen Zwangs. Und in jeder Episode werden die Helden mit massiven gesellschaftlichen Mißständen konfrontiert, mit Sklaverei, finanzieller Not, skrupelloser Geschäftemacherei, dem inhumanen Umgang mit alten Menschen, der Täuschung und Tötung vermeintlich minderwertiger Klone und der nackten Gewalt einer Raubtiergesellschaft. Ein geklontes Mädchen einer Zukunftsstadt formuliert einer Prophetin gleich somit das Credo der Erlösung, das nur in der Liebe und dem Glauben an eine bessere Welt liege.

Leider ist das etwas zuwenig, um inhaltlich zu befriedigen. Für die Schwächen entschädigt jedoch immerhin ein toller Augenschmaus, der lange im Gedächtnis haften bleibt.

Foto: Old Georgie (Hugo Weaving): Teuflischer Gegenspieler in einer Welt nach der planetaren Katastrophe

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