© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Lockerungsübungen
Pluralismus als Erfolgsgarantie
Karl Heinzen

Seit der verlorenen Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart wird die CDU wieder einmal von Ängsten geplagt, ihre Grundsätze und ihr Profil könnten nicht zeitgemäß genug sein, um sich als stärkste politische Kraft in Deutschland zu behaupten. Diese Sorgen wiegen um so schwerer, als die Partei unter Angela Merkel bereits eine tiefgreifende Abkehr von einstigen Selbstverständlichkeiten vollzogen hat.

In die Debatte hat sich nun auch Ole von Beust eingeschaltet, der immer noch bereit sein soll, Verantwortung zu übernehmen, so es sich nur um eine spannende Aufgabe handelt. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisiert er seine Partei als rückständig und respektlos gegenüber großstädtischen Realitäten. Ihre Visionen stammten aus der Zeit des Kalten Krieges, und in ihr rege sich bei drängenden Fragen reflexartiger Widerstand, so etwa, wenn es darum gehe, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften anzuerkennen oder zu akzeptieren, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Richtig an derartigen Wortmeldungen zum Kurs der CDU ist die Erkenntnis, daß eine Partei unverändert den Eindruck vermitteln sollte, Grundsätze zu vertreten. In der praktischen Politik geht es zwar fast ausnahmslos um Tagesfragen, die mit diesen wenig zu tun haben. Sie sind jedoch so kompliziert, daß, wie das Beispiel der Praxisgebühr zeigt, heute dies und morgen das genaue Gegenteil richtig sein kann.

Die Positionen, die die Parteien zu den Problemen der Tagespolitik jeweils vertreten, sind für den Bürger in der Regel nicht nachvollziehbar. Seine Wahlentscheidung für eine bestimmte Partei resultiert aus der Einschätzung, daß deren Grundsätze zu ihm passen. Wer viele Wähler an sich binden will, muß daher auf diesem Gebiet viel zu bieten haben und darf möglichst niemanden ausgrenzen. Dies geht nicht unbedingt mit einer Verwässerung von Grundsätzen und bloßen Allgemeinplätzen einher. Gerade Volksparteien haben die Chance, den Bürgern zu suggerieren, unter ihrem Dach vielfältige und sogar divergierende Auffassungen zu beherbergen.

Es muß Angela Merkel daher keine schlaflosen Nächte bereiten, daß viele Bürger immer noch glauben, die CDU von heute sei weiterhin mit jener der Ära Kohl vergleichbar. Sie darf sich vielmehr freuen, daß ihr wohl nicht wenige Wähler aus genau diesem Grund treu geblieben sind.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen