© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Überläufer zum Nationalsozialismus
Zwischen Mutterrecht und Männerbund: Zum 125. Geburtstag des Philosophen, Pädagogen und Anti-Globalisten Alfred Baeumler
Thomas Ortner

In Armin Mohlers Handbuch über „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932“ findet sich zum Schluß ein knappes Kapitel „Überläufer zum Nationalsozialismus“. Mohler präsentiert darin nur zwei „führende Köpfe“: den Pädagogen Ernst Krieck und den Dresdner, seit 1933 Berliner Philosophen Alfred Baeumler. Während der aus dem Volksschullehrerstand avancierte Autodidakt Krieck jedoch stets als intellektuelles Leichtgewicht galt, zweifelten auch ärgste Feinde nie daran, daß es sich bei Baeumler um ein ganz anderes Kaliber gehandelt habe. So attestierte der „Innere Emigrant“ Karl Jaspers ihm wirkliches geistiges Können, um auf dem Niveau Martin Heideggers und Carl Schmitts sich „geistig an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung“ zu setzen.

Insoweit durchdringender als Heidegger und Schmitt, verschaffte sich Baeumler als Amtsleiter des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg immerhin bescheidenen wissenschafts- und erziehungspolitischen Einfluß, den er – selten irritiert – bis zum bitteren Ende die Weltanschauung Adolf Hitlers verfechtend, gegen zahlreiche Widersacher in der NS-Polykratie wahrte. Zum verhöhnten „Sänger Rosenbergs“ (Friedrich Hielscher), zum „Pfeifenkopf-Philosophen“ (Ernst Jünger), zum Rang eines von Jünger, wie es in einer vielzitierten Passage der „Strahlungen“ heißt, denunzierten Politikberaters vom „Typus der Trüffelschweine“ mit kurzem Draht zur Gestapo, bis zu dieser Position, in der er vielleicht davon träumte, „den Führer zu führen“, war es für Baeumler ein von ideologischen Irrungen und Wirrungen gezeichneter Weg.

Geboren am 19. November 1887 im nordböhmischen Neustadt an der Tafelfichte, schlug der in Nürnberg aufgewachsene Denker zunächst eine konventionelle akademische Karriere ein, promovierte 1914 in München, zog 1915 mit einem Egerländer Regiment an die Isonzo-Front, kehrte mit Auszeichnungen zurück und versuchte im Umfeld der Schwabinger Bohème seinen Lebensunterhalt publizistisch zu bestreiten. Als vom Neukantianismus geprägter „Kulturliberaler“ immunisierte er dort Thomas Mann gegen Oswald Spenglers Geschichtspessimismus und leistete so Hebammendienste bei der Verwandlung des „Zauberers“ in einen republikanischen Rhetor.

Mühsam vollzog sich die Wiedereinfädelung ins Lehramt, 1924 mit einer Habilitation an der eher randständigen Technischen Hochschule (TH) Dresden, wo der Mittdreißiger in einen Schaffensrausch verfiel. 1923 erschien seine bis heute relevante Studie über das Irrationalitätsproblem im 18. Jahrhundert, 1926 folgte die gleichfalls unveraltete, geniale Einleitung zu Johann Jakob Bachofens „Mutterrecht“.

Diese intensive Beschäftigung mit der Geistesgeschichte der Romantik wirkte sich politisch aus: Baeumler, 1929 mit einem Lehrstuhl an der TH betraut und vom Kollegen Victor Klemperer bereits als „Faschist“ und „Männerbündler“ beargwöhnt, engagierte sich in nationalrevolutionären Kreisen, pflegte Kontakte zu den Jünger-Brüdern, schrieb programmatische Texte für Ernst Niekischs Zeitschrift Widerstand.

Zuletzt legten Ulrich Fröschle und Thomas Kuzias in ihrer vorzüglichen, die Komplexität der deutschen Bürgerkriegslage um 1930 gegen vulgäre Anklageliteratur konturierenden Sondierung der Beziehung Baeumler-Jünger (Dresden 2008) dar, warum der nach Bachofen sich Nietzsche zuwendende Philosoph sich der NSDAP anschloß. Außer Hitlers Charisma stiftete Rosenbergs Verdammung des römisch-katholischen „Universalismus“ Verwandtschaften. Von da war es nicht weit zu den auf Nietzsche gestützten anthropologischen und geschichtsphilosophischen Entwürfen, in denen er einem idealen Nationalsozialismus die Rolle zudachte, die pluralistische Ordnung der Völker und Nationen gegen universalistische, heute im Gewand des „Globalismus“ ausgreifende Machtprojektionen zu verteidigen.

Den im trojanischen Pferd der „Weltdemokratie“ steckenden, die „Menschenrechte“ propagierenden, von ihm jüdisch konnotierten US-Kapitalismus identifizierte der brillante Marx-Kenner Baeumler noch 1943 als Speerspitze universalistischer One-World-Visionen. Es sei Baeumlers Tragik gewesen, so meinen Fröschle und Kuzias, daß dieser auf Hegung und Eingrenzung bedachte „Gegner aller Varianten schrankenloser, universalistisch motivierter Unterwerfungsideologien“ zum Funktionsträger eines Regimes geworden sei, das sich seit 1939 selbst einer „weltrevolutionären Praxis“ verschrieben habe.

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