© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Eduard Spranger und Ernst Cassirer: Sieg der „materialethischen Leere“
Frühe Weichenstellung für Bologna
(wm)

Der Pädagoge und Philosoph Eduard Spranger (1882–1963), bis 1945 ein Hüter der Humboldt-Tradition an der Berliner Universität, ist nach 1968 mit Vorsatz vergessen worden. Wenn Wolfgang Hinrichs (Uni Siegen), sein letzter Tübinger Doktorand, heute an ihn erinnert, provoziert er die geschlossene Front der Gegner des geisteswissenschaftlich orientierten Bildungsbegriffs. Noch schlimmer ist aus deren Sicht, daß Hinrichs in seinem Essay über den deutschen Universitätsgedanken im 19. und 20. Jahrhundert (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 2/2012) seinen Lehrer gegen Ernst Cassirer (1874–1945) ausspielt, einen Hausheiligen der bundesdeutschen Akademikerschaft, und die Umrüstung der Hochschulen zu „Miniexamens-Hürdenlaufstrecken“ im Zeichen der „völlig widersinnigen Umsetzung“ der Bologna-Reform aufs Korn nimmt. Für Hinrichs bezeichnet Bologna eine Fehlentwicklung, die mit der Entsorgung von Humboldts Bildungsideen lange zuvor begann. In diesem Prozeß gewann Cassirers „formale Symbolphilosophie“ mit ihrer „materialethischen Leere“ rasant an Bedeutung, weil sie das gleichwertige Verständnis „verschiedener Kulturen“ lehrt, während Sprangers kulturpädagogischer Humanismus, der an Bildung durch Wissenschaft festhielt, schon wegen seiner Zentrierung auf die europäische Kulturtätigkeit unter Verdacht geraten mußte.

www.schoeningh.de

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