© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Pankraz,
Xi Jinping und der Rat der Götter

Der Kommunismus ist die höchste Stufe des Kapitalismus. Dieser an sich sehr drolligen Perspektive begegnet man neuerdings unausweichlich, sobald man die Augen auf China richtet. Es waltet dort seit etwa zwanzig Jahren ein faktisch ungebändigter, geradezu schäumender Kapitalismus, der die höchsten Profitraten abwirft, immer neue Reichtumsklassen entstehen läßt und das Land innerhalb kürzester Zeit zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt gemacht hat. Aber der ganze Zauber findet ausdrücklich und exklusiv im Namen des Kommunismus statt. Es ist kurios.

Die Regierung legt höchsten Wert darauf, als kommunistische Regierung bezeichnet zu werden, welche nichts anderes im Sinn habe, als die hehren sozialistischen Lehren von Marx und Engels „auf chinesische Art“ zu verwirklichen. Die offizielle Rhetorik und Symbolik ist nach wie vor auf altkommunistische Mantras abgestellt. Über der Pekinger Halle des Volkes prangt weiter das Riesenporträt des blutrünstigen Wahnsinnsdiktators Mao Tse-tung, während voriges Jahr der Versuch traditionsbewußter Kräfte, am Platz des himmlischen Friedens eine Statue des ehrwürdigen Konfuzius aufzurichten, rigoros unterbunden wurde.

Muß das denn wirklich sein? Das fragen sich mittlerweile selbst die engagiertesten Bewunderer chinesischer Geschichte und Lebensweise. Auch die konfuzianische und taoistische, über Jahrtausende sich hinstreckende Regierungsräson des östlichen Großreichs bevorzugte doch stets die Bündelung von gediegenem Herrschaftswissen (und folglich von politischer Macht) in einem „Rat der Götter“, will sagen: in einem Gremium erstklassiger, völlig korruptionsfreier „Politmönche“, die nie an sich selbst, stets nur an das Wohl des Reiches dachten. Was bedarf es da noch eines kommunistischen „Politbüros“!

Politbüro, kommunistische Partei, Zentralkomitee, Parteikader – alle diese Titel sind ja tief blamiert, wie der Kommunismus selbst. Sie stehen für anthropologische Dummheit, wirtschaftliche Ignoranz, irren Größenwahn mit schrecklichsten Folgen sowohl für das Volk wie für Wissenschaft und Kultur. Die historisch bekannt gewordenen kommunistischen Politbüros waren allesamt kein „Rat der Götter“, sondern – bestenfalls – eine Korona machtgieriger Platzhirsche, von denen jeder so bald wie möglich Alleingott werden wollte und alles tat, um seine Mitgötter umzubringen, siehe Stalin, siehe Mao.

Wenn heute in Peking die Mitglieder des Politbüros nicht wie Götter, ja nicht einmal wie normale Menschen auftreten, sondern eher – so kürzlich die New York Times – wie eine Riege mausgrauer, kaum noch voneinander unterscheidbarer Bürohengste, so ist das ein wohlbedachtes Arrangement, das sich direkt gegen die maoistische Vergangenheit richtet. Aber warum dehnt man solche Anti-Arrangements nicht auch auf den übrigen kommunistischen Vergangenheitskram aus? Warum knüpft man nicht direkt, behutsam und organisch an die konfuzianisch-taoistische Tradition an?

Im übrigen, politikferneren Alltagsleben ist das doch längst geschehen! Wissenschaft und Kunsthandwerk, Ahnenkult und Familiensinn blühen wieder wie in alten Zeiten, die öffentlichen Diskussionen sind ganz der jeweiligen Sache hingegeben und, nebenbei gesagt, meist viel weniger von Tabus und Denkverboten umstellt als in Deutschland. In der Wirtschaft schwappt die Liberalität sogar über. Investieren und geldlichen Gewinn machen geht vor allem, die Umweltverschmutzung breitet sich darüber erschreckend aus, die öffentlichen Einrichtungen werden fast so arg vernachlässigt wie in den USA.

Es ist ganz offensichtlich: Der Staat ist keineswegs mehr, wie zur Zeit Maos, allmächtig in China, mischt sich in viele Belange gar nicht mehr ein. Er hat gewissermaßen genug mit sich selbst zu tun. Die derzeit Herrschenden (und wahrscheinlich auch eine stattliche Mehrheit der chinesischen Bevölkerung) wollen keinen Vielparteienstaat inklusive Twitterbetrieb nach westlichen Mustern, wollen keine institutionelle Aufteilung der politischen Weisheit. Wie aber soll eine effektive und weitestgehend akzeptable Alternative aussehen? Ein kommunistisches Politbüro sollte es auf Dauer wohl nicht mehr sein.

Viele Fragen tun sich auf. Wer zum Beispiel wählt die Mitglieder für den Rat der Götter aus? Klar ist bisher nur (und praktiziert wird bereits), daß die Präsenz dieser wahrhaft Weisen zeitlich begrenzt sein muß. Es darf keine geistige Verfettung, keine „Oligarchisierung“ geben. Doch von wo sollen die nachrückenden „Götter“ herkommen? Müssen es tatsächlich immer bewährte Parteifunktionäre oder wenigstens langjährige Mitglieder der KP sein? Ist die Gefahr der Cliquen- und Clanbildung da nicht allzu groß? Und wer schützt die Edlen vor Korruption angesichts der allgegenwärtigen kapitalistischen Versuchungen?

Man sieht, es sind die klassischen, immer und überall gleichen Fragen nach einem optimalen Politikbetrieb, wie sie schon Aristoteles und Machiavelli im Westen und Lao-Tse und Konfuzius im Osten umgetrieben haben. Soeben ist in Peking auf dem Parteitag der KP ein neuer Rat der Götter vorgestellt worden, von den Parteitagsdelegierten jubelnd begrüßt. Als Gleicher unter Gleichen wurde der neue Parteisekretär Xi Jinping gefeiert, ein ansehnlicher jüngerer Herr, der erwartungsgemäß versicherte, daß alles beim alten bleiben und dennoch besser werden würde.

Der frisch wiedergewählte US-Präsident Obama hatte in seiner Antrittsrede vor beiden Kammern des Kongresses in Washington ganz ähnlich geklungen. Eines freilich war sehr auffällig: Xi Jinping hatte sich, wie Experten versichern, eines recht ungewöhnlichen Vokabulars bedient, mied hörbar die bisher in der KP üblichen bombastischen Phrasen über eine „schönere Zukunft“ und sprach statt dessen vom „normalen Leben“, das die Chinesen liebten und in dem sie sich wohnlich einzurichten gedächten. Vor den Fernsehern, hört man, habe es vielerorts großen spontanen Beifall gegeben.

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