© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Den Tod besser verstehen
… um mehr vom Leben zu haben: Sterben als aktiver Prozeß ist mehr als eine Folge von Organverschleiß
Baal Müller

Weißgoldenes Licht, lachende Menschen, Schmetterlinge, Engel – mit solchen Worten beschreibt der US-Wissenschaftler Eben Alexander in seinem kürzlich erschienenen Buch „Proof of Heaven“ (Beweis des Himmels) seine Nahtoderfahrungen, die er während eines siebentägigen Komas gemacht hat. Dergleichen kennt man zwar, aber man hört es meist nicht aus dem Munde eines in Harvard lehrenden Neurologen und Hirnexperten, der solche Dinge zuvor selbst für unmöglich gehalten hat.

Selbstverständlich läßt sich auch hier annehmen, daß es sich um Phänomene handelt, die prinzipiell einer künftigen naturwissenschaftlichen Beschreibung zugänglich sind, daß die Betroffenen eben doch nicht völlig tot waren, sondern noch über – bislang nicht meßbare – Hirnaktivitäten verfügten, oder daß jemand den Verkauf seines Buches ankurbeln wollte. Hoffnungsvolle Botschaften hinsichtlich der Menschheitsfrage nach dem Tod verkaufen sich besser als der banale Hinweis, daß mit diesem „alles zu Ende“ ist, zumal wenn sie von Naturwissenschaftlern verkündet werden, die man per se für seriös und skeptisch hält.

Ähnliches könnte man auch von dem Buch „Der Tod – Das letzte Geheimnis des Lebens“ aus der Feder der beiden französischen Krebsforscher Richard Béliveau und Denis Gingras erwarten, das nun auf deutsch vorliegt, insbesondere da es im Untertitel dem Leser „Daten, Fakten, Unerklärliches“ zu präsentieren verspricht.

Wer von dem schön gestalteten, reich illustrierten Band aber esoterisches Raunen erwartet, wird enttäuscht werden; ebenso, wer hofft, die beiden Mediziner könnten Beweise vorlegen, daß die Seele nicht nur eine subjektive Erlebniskomponente gewisser Hirnfunktionen, sondern eine eigenständige Entität sei, die nach ihrer Ablösung vom Körper fortlebe.

Das Buch bleibt wohlbeabsichtigt vor der Grenze des noch nicht Wißbaren stehen, nähert sich dieser aber präzise von verschiedenen Seiten. Es widmet sich ausführlich den verschiedenen Todesarten sowie dem Prozeß des Sterbens selbst und sucht, unter Verzicht auf „metaphysische Tröstungen“, dadurch der Angst vor dem Tod entgegenzuwirken, daß „wir besser verstehen, wie störanfällig die Prozesse sind, die an der Erhaltung des Lebens beteiligt sind“.

Seinem Wesen nach ist der Tod aber, wie die Autoren selbst darlegen, nicht nur eine finale „Störung“ des Lebensprozesses, etwa infolge eines Unfalls, sondern er beginnt mit der Geburt und stellt sich als Ergebnis einer aktiven, genetisch programmierten Entwicklung dar. Sterben ist also eine Lebensleistung und selbst dann, wenn schwere Krankheiten vermieden werden konnten, nicht allein als Folge von Organverschleiß anzusehen, wie eine mechanistische Betrachtung nahelegen könnte.

Der hypothetisch unbegrenzt fortsetzbare Austausch von „abgenutzten“ Organen käme spätestens dann an eine Grenze, wenn auch das Gehirn „ausgewechselt“ werden müßte und nicht mehr als „Geistträger“ fungieren könnte – es sei denn, es gelänge eines Tages, die Gesamtmenge bewußter und unbewußter „Daten“ in ein anderes „Speichermedium“ oder in einen neuen Körper zu transferieren; allerdings ist fraglich, inwiefern ein dadurch gewonnenes „ewiges Leben“ noch individuellen Charakter hätte. Individualität und Personalität hängen untrennbar mit der Abgegrenztheit eines Organismus – in räumlicher Hinsicht von anderen Individuen und zeitlich durch seinen Tod – zusammen.

Daß Sterben ein aktiver Prozeß ist, gilt auch für Krankheiten; besonders augenfällig ist dies beim Krebs der Fall, der im Körper als parasitäre, vom Gesamtzusammenhang abgekoppelte Wucherung in Erscheinung tritt und somit Züge eines ungebärdigen Lebens zeigt. Vielleicht besteht das Schreckenerregende des Krebses gerade darin, ihn als etwas Lebendiges erkennen zu müssen, das auf Kosten des eigenen Körpers gedeiht – so als würde dieser zum Humus einer Pflanze, die fremd und unbekümmert aus ihm hervorwächst. In ganz hohem Alter ist der Körper selbst zu dieser „nährenden Funktion“ kaum noch in der Lage; Hundertjährige sterben nicht mehr an Krankheiten wie Krebs, sondern gleichsam am Alter selbst.

Hält sich das Buch mit philosophischen Spekulationen zurück, so klären seine nüchternen Darlegungen doch manchen Irrtum auf, zum Beispiel denjenigen, daß der Tod durch den Strang besonders schnell erfolgen würde: „Bei den Betroffenen verhindert vor allem die Abschnürung der Jugular-Venen (an der Kehle) den Rückfluß des Blutes vom Kopf zum Herzen. Diese Blockade führt zu einer Blutansammlung im Kopf, erkennbar am Anschwellen und an einer Blaufärbung des Gesichts, sowie zu einem Gehirnödem, das letztlich zur Bewußtlosigkeit führt. Unglücklicherweise tritt diese oft nach einer langen und qualvollen Agonie ein, und der Verurteilte stirbt erst, nachdem er wild um sich geschlagen hat.“

Da möchte man doch lieber eines angeblich „schönen Todes“ etwa infolge eines Schlaganfalls oder Herzinfarktes – womöglich noch schlafend – sterben, vergißt aber, daß diesem eine lange krankhafte Degeneration der Blutgefäße vorausgeht, die immerhin aber durch die bekannten Maßnahmen – gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung usw. – hätte verzögert werden können.

Ob manche detaillierten Informationen des Buches über die Wirkung verschiedener Giftstoffe oder die Phasen der Verwesung des Leichnams wirklich dazu führen, „mehr vom Leben zu haben“, weil wir den Tod besser verstehen, mag dahingestellt bleiben. Das eigentliche Mysterium des Todes liegt nicht im Sterben selbst – vielleicht fürchten wir uns vor dem Sterben aber noch mehr als vor dem Tod, so daß uns ein nüchterner Blick auf das, was wir immerhin wissen können, weiterhilft.

Richard Béliveau/Denis Gingras: Der Tod. Das letzte Geheimnis des Lebens – Daten, Fakten, Unerklärliches. Kösel-Verlag, München 2012, gebunden, 264 Seiten, Abbildungen , 21,99 Euro

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