© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Autors Schrecken: „Ich lese ihre Texte seit fünfundzwanzig Jahren – und nichts hat sich geändert.“

Multikulturelles I: Angesichts der unflätigen Beschimpfung Sarrazins zuerst durch eine Journalistin kurdischer und nun durch einen Journalisten türkischer Herkunft, fühlt man sich an den drohenden Unterton erinnert, in dem ein Journalist afghanischer Herkunft im Jahr 2000 die deutsche Zukunft ausmalte: „Ihr habt nur die Chance, mit uns zu leben. Ein Leben ohne uns wird es für Euch nicht mehr geben. Die Ibrahims, Stefanos, Marios, Laylas und Sorayas sind deutsche Realität. Ihr werdet es nicht verhindern können, daß bald ein türkischstämmiger Richter über Euch das Urteil fällt, ein pakistanischer Arzt Eure Krankheiten heilt, ein Tamile im Parlament Eure Gesetze mit verabschiedet und ein Bulgare der Bill Gates Eurer New Economy wird. Nicht Ihr werdet die Gesellschaft internationalisieren, modernisieren und humanisieren, sondern wir werden es tun – für Euch. Ihr seid bei diesem leidvollen Prozeß lediglich Zaungäste, lästige Gaffer.“ (M. Walid Nakschbandi)

Die Frankfurter Rundschau ist am Ende. Dafür gibt es Gründe, die in der Veränderung des Zeitungsmarktes liegen, auch in den unternehmerischen Entscheidungen, die die Eigner getroffen haben. Aber hauptsächlich geht es doch darum, daß die FR keine Leser mehr hat. Obwohl das Zentralblatt der Politologen, der Studienräte, der progressiven Geistlichkeit und der Sozialpädagogen, 1945 zum Zweck dauerhafter reorientation durch die amerikanische Besatzungsmacht gegründet, seiner Aufgabe immer treulich nachgekommen ist. Nichts war so vorhersagbar wie die Berichterstattung und die Kommentare der Rundschau. Bleibt also die Frage, wie sich die schwindende Resonanz erklärt: Mission erfüllt oder Mission gescheitert.

Multikulturelles II: Der französische Innenminister hat angesichts der wachsenden Zahl radikaler Islamisten unter den Jugendlichen afrikanischer und arabischer Herkunft davon gesprochen, daß man es neuerdings mit einem „inneren Feind“ zu tun habe. Dabei wird der Eindruck erweckt, als ob diese Feststellung ebenso überraschend wie unerwartet komme. Tatsächlich haben die Verantwortlichen bis jetzt nur alles getan, die Gefahr herunterzuspielen oder zu verschleiern, indem man (potentielle) Attentäter rasch abschob oder wenigstens die genauen Umstände bestimmter Straftaten der Öffentlichkeit vorenthielt. Schon vor beinahe dreißig Jahren, 1985/86, gab es islamistische Anschläge als Reaktion auf die französische Unterstützung für christliche Gruppen im Libanon. Die Einlassungen des Hauptangeklagten Fouad Ali Saleh, eines im Land geborenen Mannes tunesischer Abstammung, wurden bezeichnenderweise erst mit einiger Verzögerung publiziert, denn da hieß es: „Im Namen des allmächtigen Gottes, Vernichter des Westens, der die mißgeborenen Kinder Israels und Jesu verfluchen wird. (…) Ich nenne mich nicht Fouad Ali Saleh, ich nenne mich der Tod des Westens. ... Die Juden und die Christen, Söhne von Schweinen, haben kein Recht zu reden, wenn ein Moslem spricht, (…) diese menschenfressenden Christen, die ihren Gott in einem maurerischen Ritual verzehren (…) Der heilige Krieg muß geführt werden, um die Welt vom jüdisch-christlichen Gestank zu reinigen. (…) Der Islam hat alle Zeit. Vom Iran aus werden unsere Brüder Schlachten liefern und auf Paris, London und Washington marschieren …“

Hans Ulrich Gumbrecht nutzt die Gelegenheit des Sieges von Obama im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, die These aufzustellen, daß dessen Triumph für den Anbruch „postpolitischer“ Zeiten spreche. Den Begriff hat Gumbrecht nicht erfunden, er läuft schon länger um, trat aber immer zurück hinter „Posthistoire“ und „Postdemokratie“. Was Gumbrecht meint, ist, daß die entscheidenden Zukunftsfragen – Energieversorgung, Integration, Armutsbekämpfung, Demographie – keiner politischen Auseinandersetzung unterworfen werden können. Jenseits von Sozialismus, Liberalismus, Konservatismus, Links, Mitte, Rechts gebe es nur richtige oder verkehrte Lösungen. Man fühlt sich an die Kybernetik-/Technokratie-/Sachzwang-Debatten der Nachkriegszeit erinnert, in denen die Verteidiger des Status quo auch so sicher waren, die unbestreitbare Realität auf ihrer Seite zu haben, und die dann immer weggefegt wurden von der plötzlichen Wiederkehr des Ideologischen und mithin des Politischen.

In dem Maß, in dem die äußeren Grenzen ihre Bedeutung verlieren, wächst die Bedeutung der inneren.

Multikulturelles III: Ivo Andric über die Reaktion der Obrigkeit auf die wachsenden ethnischen Spannungen in der Donaumonarchie kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs: „Früher schaute man, was einer machte und wie er sich führte; jetzt aber fragte man, was einer dachte und wie er sich ausdrückte.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. Dezember in der JF-Ausgabe 50/12.

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