© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Alter und neuer Sozialismus
Wahnsinn mit Methode
Siegmar Faust

Wer vor 35 Jahren aus der DDR in den Westen kam, glaubte sich ins kommunistische Paradies versetzt. Nicht nur der Überfluß an Konsumartikeln samt freundlicher Bedienung ließ staunen, sondern auch die Pünktlichkeit der Züge, die sauberen Städte und Landschaften, die Vielfalt an Bildungsmöglichkeiten Vereinen, Meinungen und Farben. Wer hätte schon die kostenfreie ärztliche Versorgung erwartet? Brille, Zahnbehandlung – alles kostenfrei. Zu keinem Medikament mußte man zuzahlen. Es gab einen großen Mittelstand, obwohl noch wenige Frauen dazuverdienten. Viele Familien hatten zwei Autos und fuhren zweimal im Jahr urlauben. In Kreuzberger Schulen gab es alles frei, sowohl Lehrbücher samt der Schreib- und Malutensilien als auch die besten Zensuren.

Doch RAF-Spuren waren ebensowenig zu übersehen wie Mao- oder Stalin-Poster in Universitäten. Geisteswissenschaftler und verbildete BAföG-Bezieher wähnten sich in einem faschistoiden System. Sie haßten ihre Eltern, die Hitler nicht verhindert hatten, was sie nicht hinderte, Deutschlands zweite sozialistische Diktatur für fortschrittlich zu halten, auch wenn man dort während der Entspannungspolitik Kinder an den Schulen im Wehrkundeunterricht zu kleinen Soldaten heranbildet.

Die verdreckten Städte, Flüsse und Seen lobten Besucher durch „rote Brillen“ als naturbelassen. 250.000 politische Gefangene in Zuchthäusern zu DDR-Zeiten erweckten weder Mitleid noch Solidarität, denn die blieb für Kommunisten wie Angela Davis und Luis Corvalán reserviert.

Die 68er, denen der lange Marsch durch die Institutionen bis nach ganz oben gelang, können noch effizienter ihr Werk fortsetzen. Die Qualität deutscher Schulen und Universitäten ist auf den Hund gekommen, ebenso Familienbindungen und evangelische Kirchgemeinden. Die Wiedervereinigung lehnten sie ab, was sie nun ermächtigt, die Nation zu ruinieren. Polen soll, bitte schön, an Frankreich grenzen. Der Euro-Wahn hat also Methode.

„Was die 68er damals ideologisch legitimierten, hat sich gesellschaftlich vollzogen, aber nicht als Utopie, sondern als Verwahrlosung.“ Dieser Satz der Schriftstellerin Sophie Dannenberg kann zwar nicht trösten, aber den nötigen Zorn aufkommen lassen.

 

Siegmar Faust ist Schriftsteller und Kurator der Gedenk-stätte Zuchthaus Cottbus. Von 1996 bis 1999 war er Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen.

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